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Prinzipien
Auch Prinzipien werden gelegentlich zu Einschränkung utilitaristischer
Überlegungen bemüht. Entsprechend empfehlen Beauchamp und Chil-
dress die von ihnen vorgeschlagenen vier Prinzipien: “An advantage of our
account is that the principle of utility that we defend can be legitimately
constrained by the other principles we advance.”19 Dabei sind die Prinzipi-
en non-maleficience und beneficience auf jeden Fall teleologischer Art; be-
züglich des letzteren heißt es denn auch, es sei „itself an extension of the
principle of positive beneficience“20, aber, anders als im Utilitarismus
nicht das einzige. Die Gerechtigkeit gilt freilich weithin als ein deontologi-
sches Prinzip; aber auch das lässt sich anders deuten wie auch der Respekt
vor der Autonomie. Freilich geht es auch einem Utilitaristen wie Mill
nicht einfach um kurzfristige Nutzenvermehrung. Auch Mill betont die
Nützlichkeit von Prinzipien. Die „überragende Nützlichkeit“ (transcendent
expediency) etwa des Verbots der Falschaussage bedeutet für Mill, dass ihre
Verletzung weder „um eines kurzfristigen Vorteils für sich selbst oder
einen andern willen“21 Sinn macht. In diesem Fall sei das Opportune (ex-
pedient) nicht mit dem Nützlichen (useful) identisch, sondern ein Teil des
Schädlichen.22 Allerdings schränkt Mill ein:
Es wird jedoch von allen Ethikern zugestanden, dass selbst diese so un-
antastbare Regel Ausnahmen zulässt, besonders dann, wenn das Ver-
schweigen einer Wahrheit – indem man etwa einem Übeltäter eine
Auskunft verweigert oder einem Schwerkranken eine schlechte Nach-
richt vorenthält – jemanden, zumal einem andern als sich selbst, vor
3.
19 Beauchamp/Childress, Principles of Biomedical Ethics, 167. Wieso das für die
Nicht-Schädigung nicht gelten soll, ist mir nicht einsichtig.
20 Ebd., 166.
21 Mill, Utilitarianism, 69. Birnbacher übersetzt denn auch Expediency unterschied-
lich, einmal mit „Opportunismus“, das andere Mal mit „Nützlichkeit“. Vgl. zum
Lügenverbot auch Wolf sowie Mills „Utilitarianism“, 101–105. Gray macht in
Mill on Liberty noch darauf aufmerksam, dass maximally expedient noch nicht mo-
rally required bedeute. Als Letzteres gilt nur, was im Falle des Zuwiderhandelns
eine Sanktion nach sich zieht (Strafe, Ächtung durch öffentliche Meinung, Ge-
wissensbisse). Vgl. Mill, Utilitarianism, 145–147: „Hier scheint der eigentliche
Angelpunkt für die Unterscheidung zwischen Sittlichkeit und schlichter Nütz-
lichkeit (simple expediency) zu liegen. Es ist allen Formen der Pflicht eigentüm-
lich, dass eine Person zu ihrer Erfüllung rechtmäßig gezwungen werden kann.
Pflicht ist etwas, das von jemandem erzwungen werden kann, so wie man die Be-
zahlung einer Schuld erzwingt.“
22 Vgl. Mill, Utilitarianism, 67. Kantianismus, Utilitarismus und die Menschenwürde
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise"
Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Titel
- Die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Autoren
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Herausgeber
- Walter Schaupp
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 448
- Schlagwörter
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Kategorien
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik