Seite - 139 - in Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
Bild der Seite - 139 -
Text der Seite - 139 -
der Stunde, um mitunter an Grundrechten und Verfahrensprinzipien zu
rüttelten.
Ausreichend vorhandene Normen im materiellen Strafrecht
Die schon vor der COVID-19-Krise vorhandenen Bestimmungen des mate-
riellen Strafrechts schützen einerseits das Individualrechtsgut Leib und Leben
(§§75ff Strafgesetzbuch [StGB]4), andererseits das Universalrechtsgut Leben
und Gesundheit der Allgemeinheit („Volksgesundheit“) vor Gefährdung von
Menschen durch übertragbare Krankheiten (§§178f StGB).5 Kann über
das Individualrechtsgut Gesundheit vom jeweiligen Rechtsgutsträger ver-
fügt werden, wodurch der Verursacher einer Gesundheitsschädigung Straf-
freiheit erlangt, wenn der Geschädigte sich bewusst der Gesundheitsge-
fährdung ausgesetzt hat, ist das Universalrechtsgut „Volksgesundheit“
einer strafbefreienden Disposition seitens des Geschädigten von vornhe-
rein entzogen.
Körperverletzungsdelikte
Die Körperverletzungsdelikte (§§83ff StGB) erfassen neben der Beein-
trächtigung eines konkreten Individuums in seiner körperlichen Integrität
(Unversehrtheit) gleichermaßen die Gesundheitsschädigung als Beeinträchti-
gung des physischen und/oder psychischen Wohlbefindens, welche Krank-
heitswert im medizinischen Sinn besitzt.6 Dabei wird die Erheblichkeits-
schwelle niedrig angesetzt, reicht doch z. B. für eine Körperverletzung
(§83 Abs.1 StGB) bereits eine nicht allzu große Hautrötung aus, um den
Tatbestand zu begründen.7 Eine COVID-19-Infektion überschreitet somit,
unabhängig von ihrem konkreten Verlauf, die Tatbestandsschwelle für
eine Gesundheitsschädigung. Dauert diese mehr als 24 Tage, ist sie als
„schwere Körperverletzung“ (§84 Abs.1 StGB) einzustufen.
2.
2.1
4 Bundesgesetz vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten
Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), BGBl.60/1974.
5 Siehe zu diesem Rechtsgut etwa Murschetz in WK2 StGB §§178, 179 Rz 1.
6 Siehe dazu etwa Burgstaller/Fabrizy in WK2 StGB §83 Rz 9ff.
7 Vgl. OGH 11 Os 180/76 = SSt 48/20: linsengroßer Hautdefekt am Grundgelenk des
5. Fingers links und oberflächliche Hautabschürfungen an der linken Augenbraue.
Die Verhältnismäßigkeit der Covid-19-Maßnahmen aus strafrechtlicher Sicht
139
https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
zurück zum
Buch Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise"
Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Titel
- Die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Autoren
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Herausgeber
- Walter Schaupp
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 448
- Schlagwörter
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Kategorien
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik