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nismäßigkeit gewahrt werden,22 zumal eine derartige Verordnung meist
nur zeitlich befristet gelten wird und damit letztlich keine von Krisenfäl-
len unabhängige Erweiterung der StPO erfolgt. Eine solche Verordnung
ist mittlerweile ergangen,23 wobei die darin ursprünglich vorgesehene Ver-
pflichtung zur Videovernehmung bereits tags darauf in eine schlichte
Möglichkeit umgewandelt wurde.24 Damit lag die Entscheidung gegen
eine Videovernehmung letztlich im Ermessen des Gerichts, ohne dass je-
doch die Verordnung dafür Kriterien normierte.
Besteht grundsätzliches Verständnis für die Erweiterung der Möglich-
keiten einer Videovernehmung im Zusammenhang mit der COVID-19-
Krise, gilt dies weniger für die ebenfalls getroffene Veränderung, Entschei-
dungen über die Fortdauer der U-Haft ohne Haftverhandlung und damit ohne
Vernehmung des Gefangenen (zumindest per Video) zu ermöglichen.25
Hier scheint der Bequemlichkeitsgedanke eine Rolle gespielt zu haben,
denn eine Ansteckung mit COVID-19 kann auch durch eine Videoverneh-
mung verhindert werden und braucht keinen Verhandlungsverzicht. Die
Bedenken gegen diese Erweiterung werden noch dadurch gestützt, dass nä-
here Kriterien für einen Verhandlungsverzicht fehlen. Dem wurde zwar in
einer Novellierung von §9 Z 4 1. COVID-19-JuBG durch Ergänzung um
den Satz: „soweit im Einzelfall eine Durchführung der Haftverhandlung
unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertra-
gung nicht möglich ist“26 versucht, abzuhelfen, eine ausreichende Be-
stimmtheit wohnt aber auch dieser Neufassung nicht inne. Damit könnte
es für einen Verhandlungsverzicht sowohl ausreichend sein, dass der zu-
ständige Richter im Home-Office arbeitet, in freiwilliger Quarantäne ist
oder über kein leistungsfähiges Internet verfügt, mit dem er eine Videover-
nehmung durchführen könnte, als auch, dass sich der zuständige Richter
mit der entsprechenden Technik nicht auseinandersetzen will und deshalb
auf eine Videovernehmung verzichtet. Sachgerecht erscheint diese Unbe-
22 Vgl. Bericht des Budgetausschusses des Nationalrates, Nr.104 der Beilagen zu den
Stenographischen Protollen des Nationalrats (BlgNR) 27. Gesetzgebungsperiode
(GP) S.1.
23 Die ursprüngliche Verordnung der BMJ vom 16.3.2020 (BGBl.II 99/2020) wurde
von der Verordnung BGBl.II 113/2020 abgelöst. Sie tritt entsprechend ihrem §8
mit 30.9.2020 außer Kraft (BGBl.II 243/2020).
24 Vgl. BGBl.II 114/2020.
25 Hierzu räumte §9 Z 4 1. COVID-19-JuBG der BMJ eine Verordnungsermächti-
gung ein, von der sie durch BGBl.II 113/2020 Gebrauch gemacht hat. Die ent-
sprechende Bestimmung der Verordnung tritt nach ihrem §8 mit 30.9.2020 außer
Kraft (BGBl.II 243/2020).
26 BGBl.I. 24/2020 Art 32 Z 7.
Alois Birklbauer
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise"
Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Titel
- Die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Autoren
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Herausgeber
- Walter Schaupp
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 448
- Schlagwörter
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Kategorien
- Coronavirus
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