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bewegen können, ihren Posten aufzugeben, sie saß dort im Ausschank wie die
Spinne im Netz, hatte überall ihre Fäden, die nur sie kannte; sie gegen ihren
Willen auszuheben, wäre ganz unmöglich gewesen, nur Liebe zu einem
Niedrigen, also etwas, was sich mit ihrer Stellung nicht vertrug, konnte sie
von ihrem Platze treiben. Und Pepi? Hatte sie denn jemals daran gedacht, die
Stelle für sich zu gewinnen? Sie war Zimmermädchen, hatte eine
unbedeutende, wenig aussichtsreiche Stelle, Träume von großer Zukunft hatte
sie wie jedes Mädchen, Träume kann man sich nicht verbieten, aber ernstlich
dachte sie nicht an ein Weiterkommen, sie hatte sich mit dem Erreichten
abgefunden. Und nun verschwand Frieda plötzlich aus dem Ausschank, es
war so plötzlich gekommen, daß der Wirt nicht gleich einen passenden Ersatz
zur Hand hatte, er suchte und sein Blick fiel auf Pepi, die sich freilich
entsprechend vorgedrängt hatte. In jener Zeit liebte sie K., wie sie noch nie
jemanden geliebt hatte; sie war monatelang unten in ihrer winzigen, dunklen
Kammer gesessen und war vorbereitet, dort Jahre und, ungünstigenfalls, ihr
ganzes Leben unbeachtet zu verbringen, und nun war plötzlich K. erschienen,
ein Held, ein Mädchenbefreier, und hatte ihr den Weg nach oben frei gemacht.
Er wußte allerdings nichts von ihr, hatte es nicht ihretwegen getan, aber das
verschlug ihrer Dankbarkeit nichts, in der Nacht, die ihrer Anstellung
vorherging – die Anstellung war noch unsicher, aber doch schon sehr
wahrscheinlich -, verbrachte sie Stunden damit, mit ihm zu sprechen, ihm
ihren Dank ins Ohr zu flüstern. Und es erhöhte noch seine Tat in ihren Augen,
daß es gerade Frieda war, deren Last er auf sich genommen hatte; etwas
unbegreiflich Selbstloses lag darin, daß er, um Pepi hervorzuholen, Frieda zu
seiner Geliebten machte, Frieda, ein unhübsches, ältliches, mageres Mädchen
mit kurzem, schütterem Haar, überdies ein hinterhältiges Mädchen, das immer
irgendwelche Geheimnisse hat, was ja wohl mit ihrem Aussehen
zusammenhängt; ist am Gesicht und Körper die Jämmerlichkeit zweifellos,
muß sie doch wenigstens andere Geheimnisse haben, die niemand nachprüfen
kann, etwa ihr angebliches Verhältnis zu Klamm. Und selbst solche Gedanken
waren Pepi damals gekommen: Ist es möglich, daß K. wirklich Frieda liebt,
täuscht er sich nicht oder täuscht er vielleicht gar nur Frieda, und wird
vielleicht das einzige Ergebnis alles dessen doch nur Pepis Aufstieg sein, und
wird dann K. den Irrtum merken oder ihn nicht mehr verbergen wollen und
nicht mehr Frieda, sondern nur Pepi sehen, was gar keine irrsinnige
Einbildung Pepis sein mußte, denn mit Frieda konnte sie es als Mädchen
gegen Mädchen sehr wohl aufnehmen, was niemand leugnen wird, und es war
doch auch vor allem Friedas Stellung gewesen und der Glanz, den Frieda ihr
zu geben verstanden hatte, von welchem K. im Augenblick geblendet worden
war. Und da hatte nun Pepi davon geträumt, K. werde, wenn sie die Stellung
habe, bittend zu ihr kommen, und sie werde nun die Wahl haben, entweder K.
zu erhören und die Stelle zu verlieren oder ihn abzuweisen und weiter zu
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik