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und neue Geräuschstellen festzustellen, was wahrhaftig sehr leicht ist, denn es
erfordert nichts, als an einem beliebigen Ort stehenzubleiben und zu horchen.
Und noch weitere unnütze Entdeckungen mache ich. Manchmal scheint es
mir, als habe das Geräusch aufgehört, es macht ja lange Pausen, manchmal
überhört man ein solches Zischen, allzusehr klopft das eigene Blut im Ohr,
dann schließen sich zwei Pausen zu einer zusammen und ein Weilchen lang
glaubt man, das Zischen sei für immer zu Ende.
Man horcht nicht mehr weiter, man springt auf, das ganze Leben macht
eine Umwälzung, es ist, als öffne sich die Quelle, aus welcher die Stille des
Baues strömt. Man hütet sich, die Entdeckung gleich nachzuprüfen, man
sucht jemanden, dem man sie vorher unangezweifelt anvertrauen könne, man
galoppiert deshalb zum Burgplatz, man erinnert sich, da man mit allem, was
man ist, zu neuem Leben erwacht ist, daß man schon lange nichts gegessen
hat, man reißt irgend etwas von den unter der Erde halb verschütteten
Vorräten hervor und schlingt daran noch, während man zu dem Ort der
unglaublichen Entdeckung zurückläuft, man will sich zuerst nur nebenbei, nur
flüchtig während des Essens von der Sache nochmals überzeugen, man
horcht, aber das flüchtige Hinhorchen zeigt sofort, daß man sich schmählich
geirrt hat, unerschüttert zischt es dort weit in der Ferne. Und man speit das
Essen aus und möchte es in den Boden stampfen und man geht zu seiner
Arbeit zurück, weiß gar nicht, zu welcher; irgendwo, wo es nötig zu sein
scheint, und solcher Orte gibt es genug, fängt man mechanisch etwas zu tun
an, so als sei nur der Aufseher gekommen und man müsse ihm eine Komödie
vorspielen. Aber kaum hat man ein Weilchen derart gearbeitet, kann es
geschehen, daß man eine neue Entdeckung macht. Das Geräusch scheint
stärker geworden, nicht viel stärker natürlich, hier handelt es sich immer nur
um feinste Unterschiede, aber ein wenig stärker doch, deutlich dem Ohre
erkennbar. Und dieses Stärkerwerden scheint ein Näherkommen, noch viel
deutlicher als man das Stärkerwerden hört, sieht man förmlich den Schritt, mit
dem es näher kommt. Man springt von der Wand zurück, man sucht mit
einem Blick alle Möglichkeiten zu übersehen, welche diese Entdeckung zur
Folge haben wird. Man hat das Gefühl, als hätte man den Bau niemals
eigentlich zur Verteidigung gegen einen Angriff eingerichtet, die Absicht
hatte man, aber entgegen aller Lebenserfahrung schien einem die Gefahr eines
Angriffs und daher die Einrichtungen der Verteidigung fernliegend – oder
nicht fernliegend (wie wäre das möglich!), aber im Rang tief unter den
Einrichtungen für ein friedliches Leben, denen man deshalb im Bau überall
den Vorzug gab. Vieles hätte in jener Richtung eingerichtet werden können,
ohne den Grundplan zu stören, es ist in einer unverständlichen Weise
versäumt worden. Ich habe viel Glück gehabt in allen diesen Jahren, das
Glück hat mich verwöhnt, unruhig war ich gewesen, aber Unruhe innerhalb
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Buch Der Bau"
Der Bau
- Titel
- Der Bau
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1931
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 29
- Kategorien
- Weiteres Belletristik