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achtete auf diese Reden kaum, das Verfügungsrecht über seine Sachen, das er
vielleicht noch besaß, schätzte er nicht hoch ein, viel wichtiger war es ihm,
Klarheit über seine Lage zu bekommen; in Gegenwart dieser Leute konnte er
aber nicht einmal nachdenken, immer wieder stieß der Bauch des zweiten
Wächters - es konnten ja nur Wächter sein - förmlich freundschaftlich an ihn,
sah er aber auf, dann erblickte er ein zu diesem dicken Körper gar nicht
passendes trockenes, knochiges Gesicht mit starker, seitlich gedrehter Nase,
das sich über ihn hinweg mit dem anderen Wächter verständigte. Was waren
denn das für Menschen? Wovon sprachen sie? Welcher Behörde gehörten sie
an? K. lebte doch in einem Rechtsstaat, überall herrschte Friede, alle Gesetze
bestanden aufrecht, wer wagte, ihn in seiner Wohnung zu überfallen? Er
neigte stets dazu, alles möglichst leicht zu nehmen, das Schlimmste erst beim
Eintritt des Schlimmsten zu glauben, keine Vorsorge für die Zukunft zu
treffen, selbst wenn alles drohte. Hier schien ihm das aber nicht richtig, man
konnte zwar das Ganze als Spaß ansehen, als einen groben Spaß, den ihm aus
unbekannten Gründen, vielleicht weil heute sein dreißigster Geburtstag war,
die Kollegen in der Bank veranstaltet hatten, es war natürlich möglich,
vielleicht brauchte er nur auf irgendeine Weise den Wächtern ins Gesicht zu
lachen, und sie würden mitlachen, vielleicht waren es Dienstmänner von der
Straßenecke, sie sahen ihnen nicht unähnlich - trotzdem war er diesmal,
förmlich schon seit dem ersten Anblick des Wächters Franz, entschlossen,
nicht den geringsten Vorteil, den er vielleicht gegenüber diesen Leuten besaß,
aus der Hand zu geben. Darin, daß man später sagen würde, er habe keinen
Spaß verstanden, sah K. eine ganz geringe Gefahr, wohl aber erinnerte er sich
- ohne daß es sonst seine Gewohnheit gewesen wäre, aus Erfahrungen zu
lernen - an einige, an sich unbedeutende Fälle, in denen er zum Unterschied
von seinen Freunden mit Bewußtsein, ohne das geringste Gefühl für die
möglichen Folgen, sich unvorsichtig benommen hatte und dafür durch das
Ergebnis gestraft worden war. Es sollte nicht wieder geschehen, zumindest
nicht diesmal; war es eine Komödie, so wollte er mitspielen.
Noch war er frei. »Erlauben Sie«, sagte er und ging eilig zwischen den
Wächtern durch in sein Zimmer. »Er scheint vernünftig zu sein«, hörte er
hinter sich sagen. In seinem Zimmer riß er gleich die Schubladen des
Schreibtischs auf, es lag dort alles in großer Ordnung, aber gerade die
Legitimationspapiere, die er suchte, konnte er in der Aufregung nicht gleich
finden. Schließlich fand er seine Radfahrlegitimation und wollte schon mit ihr
zu den Wächtern gehen, dann aber schien ihm das Papier zu geringfügig und
er suchte weiter, bis er den Geburtsschein fand. Als er wieder in das
Nebenzimmer zurückkam, öffnete sich gerade die gegenüberliegende Tür und
Frau Grubach wollte dort eintreten. Man sah sie nur einen Augenblick, denn
kaum hatte sie K. erkannt, als sie offenbar verlegen wurde, um Verzeihung
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Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155