Seite - 8 - in Der Prozeß
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bat, verschwand und äußerst vorsichtig die Tür schloß. »Kommen Sie doch
herein«, hatte K. gerade noch sagen können. Nun aber stand er mit seinen
Papieren in der Mitte des Zimmers, sah noch auf die Tür hin, die sich nicht
wieder öffnete, und wurde erst durch einen Anruf der Wächter aufgeschreckt,
die bei dem Tischchen am offenen Fenster saßen und, wie K. jetzt erkannte,
sein Frühstück verzehrten. »Warum ist sie nicht eingetreten?« fragte er. »Sie
darf nicht«, sagte der große Wächter. »Sie sind doch verhaftet.« »Wie kann
ich denn verhaftet sein? Und gar auf diese Weise?« »Nun fangen Sie also
wieder an«, sagte der Wächter und tauchte ein Butterbrot ins Honigfäßchen.
»Solche Fragen beantworten wir nicht.« »Sie werden sie beantworten
müssen«, sagte K. »Hier sind meine Legitimationspapiere, zeigen Sie mir
jetzt die Ihrigen und vor allem den Verhaftbefehl.« »Du lieber Himmel!«
sagte der Wächter. »Daß Sie sich in Ihre Lage nicht fügen können und daß Sie
es darauf angelegt zu haben scheinen, uns, die wir Ihnen jetzt wahrscheinlich
von allen Ihren Mitmenschen am nächsten stehen, nutzlos zu reizen!« »Es ist
so, glauben Sie es doch«, sagte Franz, führte die Kaffeetasse, die er in der
Hand hielt, nicht zum Mund, sondern sah K. mit einem langen,
wahrscheinlich bedeutungsvollen, aber unverständlichen Blick an. K. ließ
sich, ohne es zu wollen, in ein Zwiegespräch der Blicke mit Franz ein, schlug
dann aber doch auf seine Papiere und sagte: »Hier sind meine
Legitimationspapiere.« »Was kümmern uns denn die?« rief nun schon der
große Wächter. »Sie führen sich ärger auf als ein Kind. Was wollen Sie denn?
Wollen Sie Ihren großen, verfluchten Prozeß dadurch zu einem raschen Ende
bringen, daß Sie mit uns, den Wächtern, über Legitimation und Verhaftbefehl
diskutieren? Wir sind niedrige Angestellte, die sich in einem
Legitimationspapier kaum auskennen und die mit Ihrer Sache nichts anderes
zu tun haben, als daß sie zehn Stunden täglich bei Ihnen Wache halten und
dafür bezahlt werden. Das ist alles, was wir sind, trotzdem aber sind wir
fähig, einzusehen, daß die hohen Behörden, in deren Dienst wir stehen, ehe
sie eine solche Verhaftung verfügen, sich sehr genau über die Gründe der
Verhaftung und die Person des Verhafteten unterrichten. Es gibt darin keinen
Irrtum. Unsere Behörde, soweit ich sie kenne, und ich kenne nur die
niedrigsten Grade, sucht doch nicht etwa die Schuld in der Bevölkerung,
sondern wird, wie es im Gesetz heißt, von der Schuld angezogen und muß uns
Wächter ausschicken. Das ist Gesetz. Wo gäbe es da einen Irrtum?« »Dieses
Gesetz kenne ich nicht«, sagte K. »Desto schlimmer für Sie«, sagte der
Wächter. »Es besteht wohl auch nur in Ihren Köpfen«, sagte K., er wollte sich
irgendwie in die Gedanken der Wächter einschleichen, sie zu seinen Gunsten
wenden oder sich dort einbürgern. Aber der Wächter sagte nur abweisend:
»Sie werden es zu fühlen bekommen.« Franz mischte sich ein und sagte:
»Sieh, Willem, er gibt zu, er kenne das Gesetz nicht, und behauptet
gleichzeitig, schuldlos zu sein.« »Du hast ganz recht, aber ihm kann man
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Buch Der Prozeß"
Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155