Seite - 10 - in Der Prozeß
Bild der Seite - 10 -
Text der Seite - 10 -
Zeugin führen oder auch die beiden Alten von drüben, die wohl jetzt auf dem
Marsch zum gegenüberliegenden Fenster waren. Es wunderte K., wenigstens
aus dem Gedankengang der Wächter wunderte es ihn, daß sie ihn in das
Zimmer getrieben und ihn hier allein gelassen hatten, wo er doch zehnfache
Möglichkeit hatte, sich umzubringen. Gleichzeitig allerdings fragte er sich,
diesmal aus seinem Gedankengang, was für einen Grund er haben könnte, es
zu tun. Etwa weil die zwei nebenan saßen und sein Frühstück abgefangen
hatten? Es wäre so sinnlos gewesen, sich umzubringen, daß er, selbst wenn er
es hätte tun wollen, infolge der Sinnlosigkeit dazu nicht imstande gewesen
wäre. Wäre die geistige Beschränktheit der Wächter nicht so auffallend
gewesen, so hätte man annehmen können, daß auch sie, infolge der gleichen
Überzeugung, keine Gefahr darin gesehen hätten, ihn allein zu lassen. Sie
mochten jetzt, wenn sie wollten, zusehen, wie er zu einem Wandschränkchen
ging, in dem er einen guten Schnaps aufbewahrte, wie er ein Gläschen zuerst
zum Ersatz des Frühstücks leerte und wie er ein zweites Gläschen dazu
bestimmte, sich Mut zu machen, das letztere nur aus Vorsicht für den
unwahrscheinlichen Fall, daß es nötig sein sollte.
Da erschreckte ihn ein Zuruf aus dem Nebenzimmer derartig, daß er mit
den Zähnen ans Glas schlug. »Der Aufseher ruft Sie!« hieß es. Es war nur das
Schreien, das ihn erschreckte, dieses kurze, abgehackte, militärische Schreien,
das er dem Wächter Franz gar nicht zugetraut hätte. Der Befehl selbst war
ihm sehr willkommen. »Endlich!« rief er zurück, versperrte den Wandschrank
und eilte sofort ins Nebenzimmer. Dort standen die zwei Wächter und jagten
ihn, als wäre das selbstverständlich, wieder in sein Zimmer zurück. »Was fällt
Euch ein?« riefen sie. »Im Hemd wollt Ihr vor den Aufseher? Er läßt Euch
durchprügeln und uns mit!« »Laßt mich, zum Teufel!« rief K., der schon bis
zu seinem Kleiderkasten zurückgedrängt war, »wenn man mich im Bett
überfällt, kann man nicht erwarten, mich im Festanzug zu finden.« »Es hilft
nichts«, sagten die Wächter, die immer, wenn K. schrie, ganz ruhig, ja fast
traurig wurden und ihn dadurch verwirrten oder gewissermaßen zur
Besinnung brachten. »Lächerliche Zeremonien!« brummte er noch, hob aber
schon einen Rock vom Stuhl und hielt ihn ein Weilchen mit beiden Händen,
als unterbreite er ihn dem Urteil der Wächter. Sie schüttelten die Köpfe. »Es
muß ein schwarzer Rock sein«, sagten sie. K. warf daraufhin den Rock zu
Boden und sagte - er wußte selbst nicht, in welchem Sinne er es sagte -: »Es
ist doch noch nicht die Hauptverhandlung.« Die Wächter lächelten, blieben
aber bei ihrem: »Es muß ein schwarzer Rock Fein.« »Wenn ich dadurch die
Sache beschleunige, soll es mir recht sein«, sagte K., öffnete selbst den
Kleiderkasten, suchte lange unter den vielen Kleidern, wählte sein bestes
schwarzes Kleid, ein Jackettkleid, das durch seine Taille unter den Bekannten
fast Aufsehen gemacht hatte, zog nun auch ein anderes Hemd hervor und
10
zurück zum
Buch Der Prozeß"
Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155