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»Warum besonders die heutige nicht?« »Ich will nicht sagen, daß ich das
Ganze für einen Spaß ansehe, dafür scheinen mir die Veranstaltungen, die
gemacht wurden, doch zu umfangreich. Es müßten alle Mitglieder der
Pension daran beteiligt sein und auch Sie alle, das ginge über die Grenzen
eines Spaßes. Ich will also nicht sagen, daß es ein Spaß ist.« »Ganz richtig«,
sagte der Aufseher und sah nach, wieviel Zündhölzchen in der
Zündhölzchenschachtel waren. »Andererseits aber«, fuhr K. fort und wandte
sich hierbei an alle und hätte gern sogar die drei bei den Photographien sich
zugewendet, »andererseits aber kann die Sache auch nicht viel Wichtigkeit
haben. Ich folgere das daraus, daß ich angeklagt bin, aber nicht die geringste
Schuld auffinden kann, wegen deren man mich anklagen könnte. Aber auch
das ist nebensächlich, die Hauptfrage ist, von wem bin ich angeklagt? Welche
Behörde führt das Verfahren? Sind Sie Beamte? Keiner hat eine Uniform,
wenn man nicht Ihr Kleid« - hier wandte er sich an Franz - »eine Uniform
nennen will, aber es ist doch eher ein Reiseanzug. In diesen Fragen verlange
ich Klarheit, und ich bin überzeugt, daß wir nach dieser Klarstellung
voneinander den herzlichsten Abschied werden nehmen können.« Der
Aufseher schlug die Zündhölzchenschachtel auf den Tisch nieder. »Sie
befinden sich in einem großen Irrtum«, sagte er. »Diese Herren hier und ich
sind für Ihre Angelegenheit vollständig nebensächlich, ja wir wissen sogar
von ihr fast nichts. Wir könnten die regelrechtesten Uniformen tragen, und
Ihre Sache würde um nichts schlechter stehen. Ich kann Ihnen auch durchaus
nicht sagen, daß Sie angeklagt sind oder vielmehr, ich weiß nicht, ob Sie es
sind. Sie sind verhaftet, das ist richtig, mehr weiß ich nicht. Vielleicht haben
die Wächter etwas anderes geschwätzt, dann ist es eben nur Geschwätz
gewesen. Wenn ich nun aber auch Ihre Fragen nicht beantworte, so kann ich
Ihnen doch raten, denken Sie weniger an uns und an das, was mit Ihnen
geschehen wird, denken Sie lieber mehr an sich. Und machen Sie keinen
solchen Lärm mit dem Gefühl Ihrer Unschuld, es stört den nicht gerade
schlechten Eindruck, den Sie im übrigen machen. Auch sollten Sie überhaupt
im Reden zurückhaltender sein, fast alles, was Sie vorhin gesagt haben, hätte
man auch, wenn Sie nur ein paar Worte gesagt hätten, Ihrem Verhalten
entnehmen können, außerdem war es nichts für Sie übermäßig Günstiges.«
K. starrte den Aufseher an. Schulmäßige Lehren bekam er hier von einem
vielleicht jüngeren Menschen? Für seine Offenheit wurde er mit einer Rüge
bestraft? Und über den Grund seiner Verhaftung und über deren Auftraggeber
erfuhr er nichts? Er geriet in eine gewisse Aufregung, ging auf und ab, woran
ihn niemand hinderte, schob seine Manschetten zurück, befühlte die Brust,
strich sein Haar zurecht, kam an den drei Herren vorüber, sagte: »Es ist ja
sinnlos«, worauf sich diese zu ihm umdrehten und ihn entgegenkommend,
aber ernst ansahen und machte endlich wieder vor dem Tisch des Aufsehers
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Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155