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war auch schon weggeräumt. »Frauenhände bringen doch im stillen viel
fertig«, dachte er, er hätte das Geschirr vielleicht auf der Stelle zerschlagen,
aber gewiß nicht hinaustragen können. Er sah Frau Grubach mit einer
gewissen Dankbarkeit an. »Warum arbeiten Sie noch so spät?« fragte er. Sie
saßen nun beide am Tisch, und K. vergrub von Zeit zu Zeit seine Hand in die
Strümpfe. »Es gibt viel Arbeit«, sagte sie, »während des Tages gehöre ich den
Mietern; wenn ich meine Sachen in Ordnung bringen will, bleiben mir nur die
Abende.« »Ich habe Ihnen heute wohl noch eine außergewöhnliche Arbeit
gemacht?« »Wieso denn?« fragte sie, etwas eifriger werdend, die Arbeit ruhte
in ihrem Schoße. »Ich meine die Männer, die heute früh hier waren.« »Ach
so«, sagte sie und kehrte wieder in ihre Ruhe zurück, »das hat mir keine
besondere Arbeit gemacht.« K. sah schweigend zu, wie sie den Strickstrumpf
wieder vornahm. Sie scheint sich zu wundern, daß ich davon spreche, dachte
er, sie scheint es nicht für richtig zu halten, daß ich davon spreche. Desto
wichtiger ist es, daß ich es tue. Nur mit einer alten Frau kann ich davon
sprechen. »Doch, Arbeit hat es gewiß gemacht«, sagte er dann, »aber es wird
nicht wieder vorkommen.« »Nein, das kann nicht wieder vorkommen«, sagte
sie bekräftigend und lächelte K. fast wehmütig an. »Meinen Sie das
ernstlich?« fragte K. »Ja«, sagte sie leiser, »aber vor allem dürfen Sie es nicht
zu schwer nehmen. Was geschieht nicht alles in der Welt! Da Sie so
vertraulich mit mir reden, Herr K., kann ich Ihnen ja eingestehen, daß ich ein
wenig hinter der Tür gehorcht habe und daß mir auch die beiden Wächter
einiges erzählt haben. Er handelt sich ja um Ihr Glück und das liegt mir
wirklich am Herzen, mehr als mir vielleicht zusteht, denn ich bin ja bloß die
Vermieterin. Nun, ich habe also einiges gehört, aber ich kann nicht sagen, daß
es etwas besonders Schlimmes war. Nein. Sie sind zwar verhaftet, aber nicht
so wie ein Dieb verhaftet wird. Wenn man wie ein Dieb verhaftet wird, so ist
es schlimm, aber diese Verhaftung -. Es kommt mir wie etwas Gelehrtes vor,
entschuldigen Sie, wenn ich etwas Dummes sage, es kommt mir wie etwas
Gelehrtes vor, das ich zwar nicht verstehe, das man aber auch nicht verstehen
muß.«
»Es ist gar nichts Dummes was Sie gesagt haben, Frau Grubach,
wenigstens bin auch ich zum Teil Ihrer Meinung, nur urteile ich über das
Ganze noch schärfer als Sie und halte es einfach nicht einmal für etwas
Gelehrtes, sondern überhaupt für nichts. Ich wurde überrumpelt, das war es.
Wäre ich gleich nach dem Erwachen, ohne mich durch das Ausbleiben der
Anna beirren zu lassen, aufgestanden und ohne Rücksicht auf irgend jemand,
der mir in den Weg getreten wäre, zu Ihnen gegangen, hätte ich diesmal
ausnahmsweise etwa in der Küche gefrühstückt, hätte mir von Ihnen die
Kleidungsstücke aus meinem Zimmer bringen lassen, kurz, hätte ich
vernünftig gehandelt, so wäre nichts weiter geschehen, es wäre alles, was
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Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155