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einzutreffen, obwohl er nicht einmal für eine bestimmte Stunde bestellt war.
Er hatte gedacht, das Haus schon von der Ferne an irgendeinem Zeichen,
das er sich selbst nicht genau vorgestellt hatte, oder an einer besonderen
Bewegung vor dem Eingang schon von weitem zu erkennen. Aber die
Juliusstraße, in der es sein sollte und an deren Beginn K. einen Augenblick
lang stehenblieb, enthielt auf beiden Seiten fast ganz einförmige Häuser,
hohe, graue, von armen Leuten bewohnte Miethäuser. Jetzt, am
Sonntagmorgen, waren die meisten Fenster besetzt, Männer in Hemdärmeln
lehnten dort und rauchten oder hielten kleine Kinder vorsichtig und zärtlich
an den Fensterrand. Andere Fenster waren hoch mit Bettzeug angefüllt, über
dem flüchtig der zerraufte Kopf einer Frau erschien. Man rief einander über
die Gasse zu, ein solcher Zuruf bewirkte gerade über K. ein großes Gelächter.
Regelmäßig verteilt befanden sich in der langen Straße kleine, unter dem
Straßenniveau liegende, durch ein paar Treppen erreichbare Läden mit
verschiedenen Lebensmitteln. Dort gingen Frauen aus und ein oder standen
auf den Stufen und plauderten. Ein Obsthändler, der seine Waren zu den
Fenstern hinauf empfahl, hätte, ebenso unaufmerksam wie K., mit seinem
Karren diesen fast niedergeworfen. Eben begann ein in besseren Stadtvierteln
ausgedientes Grammophon mörderisch zu spielen.
K. ging tiefer in die Gasse hinein, langsam, als hätte er nun schon Zeit oder
als sähe ihn der Untersuchungsrichter aus irgendeinem Fenster und wisse
also, daß sich K. eingefunden habe. Es war kurz nach neun. Das Haus lag
ziemlich weit, es war fast ungewöhnlich ausgedehnt, besonders die
Toreinfahrt war hoch und weit. Sie war offenbar für Lastfuhren bestimmt, die
zu den verschiedenen Warenmagazinen gehörten, die jetzt versperrt den
großen Hof umgaben und Aufschriften von Firmen trugen, von denen K.
einige aus dem Bankgeschäft kannte. Gegen seine sonstige Gewohnheit sich
mit allen diesen Äußerlichkeiten genauer befassend, blieb er auch ein wenig
am Eingang des Hofes stehen. In seiner Nähe auf einer Kiste saß ein
bloßfüßiger Mann und las eine Zeitung. Auf einem Handkarren schaukelten
zwei Jungen. Vor einer Pumpe stand ein schwaches, junges Mädchen in einer
Nachtjoppe und blickte, während das Wasser in ihre Kanne strömte, auf K.
hin. In einer Ecke des Hofes wurde zwischen zwei Fenstern ein Strick
gespannt, auf dem die zum Trocknen bestimmte Wäsche schon hing. Ein
Mann stand unten und leitete die Arbeit durch ein paar Zurufe.
K. wandte sich der Treppe zu, um zum Untersuchungszimmer zu kommen,
stand dann aber wieder still, denn außer dieser Treppe sah er im Hof noch drei
verschiedene Treppenaufgänge und überdies schien ein kleiner Durchgang am
Ende des Hofes noch in einen zweiten Hof zu führen. Er ärgerte sich, daß man
ihm die Lage des Zimmers nicht näher bezeichnet hatte, es war doch eine
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Buch Der Prozeß"
Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155