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sonderbare Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit, mit der man ihn behandelte,
er beabsichtigte, das sehr laut und deutlich festzustellen. Schließlich stieg er
doch die Treppe hinauf und spielte in Gedanken mit einer Erinnerung an den
Ausspruch des Wächters Willem, daß das Gericht von der Schuld angezogen
werde, woraus eigentlich folgte, daß das Untersuchungszimmer an der Treppe
liegen mußte, die K. zufällig wählte.
Er störte im Hinaufgehen viele Kinder, die auf der Treppe spielten und ihn,
wenn er durch ihre Reihe schritt, böse ansahen. »Wenn ich nächstens wieder
hergehen sollte«, sagte er sich, »muß ich entweder Zuckerwerk mitnehmen,
um sie zu gewinnen, oder den Stock, um sie zu prügeln.« Knapp vor dem
ersten Stockwerk mußte er sogar ein Weilchen warten, bis eine Spielkugel
ihren Weg vollendet hatte, zwei kleine Jungen mit den verzwickten
Gesichtern erwachsener Strolche hielten ihn indessen an den Beinkleidern;
hätte er sie abschütteln wollen, hätte er ihnen wehtun müssen, und er fürchtete
ihr Geschrei.
Im ersten Stockwerk begann die eigentliche Suche. Da er doch nicht nach
der Untersuchungskommission fragen konnte, erfand er einen Tischler Lanz -
der Name fiel ihm ein, weil der Hauptmann, der Neffe der Frau Grubach, so
hieß - und wollte nun in allen Wohnungen nachfragen, ob hier ein Tischler
Lanz wohne, um so die Möglichkeit zu bekommen, in die Zimmer
hineinzusehen. Es zeigte sich aber, daß das meistens ohne weiteres möglich
war, denn fast alle Türen standen offen und die Kinder liefen ein und aus,. Es
waren in der Regel kleine, einfenstrige Zimmer, in denen auch gekocht
wurde. Manche Frauen hielten Säuglinge im Arm und arbeiteten mit der
freien Hand auf dem Herd. Halbwüchsige, scheinbar nur mit Schürzen
bekleidete Mädchen liefen am fleißigsten hin und her. In allen Zimmern
standen die Betten noch in Benützung, es lagen dort Kranke oder noch
Schlafende oder Leute, die sich dort in Kleidern streckten. An den
Wohnungen, deren Türen geschlossen waren, klopfte K. an und fragte, ob hier
ein Tischler Lanz wohne. Meistens öffnete eine Frau, hörte die Frage an und
wandte sich ins Zimmer zu jemandem, der sich aus dem Bett erhob. »Der
Herr fragt, ob ein Tischler Lanz hier wohnt.« »Tischler Lanz?« fragte der aus
dem Bett. »Ja«, sagte K., obwohl sich hier die Untersuchungskommission
zweifellos nicht befand und daher seine Aufgabe beendet war. Viele glaubten,
es liege K. sehr viel daran, den Tischler Lanz zu finden, dachten lange nach,
nannten einen Tischler, der aber nicht Lanz hieß, oder einen Namen, der mit
Lanz eine ganz entfernte Ähnlichkeit hatte, oder sie fragten bei Nachbarn
oder begleiteten K. zu einer weit entfernten Tür, wo ihrer Meinung nach ein
derartiger Mann möglicherweise in Aftermiete wohne oder wo jemand sei,
der bessere Auskunft als sie selbst geben könne. Schließlich mußte K. kaum
mehr selbst fragen, sondern wurde auf diese Weise durch die Stockwerke
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Buch Der Prozeß"
Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155