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nachzudenken begann und nur manchmal einer durch Überredung gewonnen
wurde.
»Ich will nicht Rednererfolg«, sagte K. aus dieser Überlegung heraus, »er
dürfte mir auch nicht erreichbar sein. Der Herr Untersuchungsrichter spricht
wahrscheinlich viel besser, es gehört ja zu seinem Beruf. Was ich will, ist nur
die öffentliche Besprechung eines öffentlichen Mißstandes. Hören Sie: Ich bin
vor etwa zehn Tagen verhaftet worden, über die Tatsache der Verhaftung
selbst lache ich, aber das gehört jetzt nicht hierher. Ich wurde früh im Bett
überfallen, vielleicht hatte man - es ist nach dem, was der
Untersuchungsrichter sagte, nicht ausgeschlossen - den Befehl, irgendeinen
Zimmermaler, der ebenso unschuldig ist wie ich, zu verhaften, aber man
wählte mich. Das Nebenzimmer war von zwei groben Wächtern besetzt.
Wenn ich ein gefährlicher Räuber wäre, hätte man nicht bessere Vorsorge
treffen können. Diese Wächter waren überdies demoralisiertes Gesindel, sie
schwätzten mir die Ohren voll, sie wollten sich bestechen lassen, sie wollten
mir unter Vorspiegelungen Wäsche und Kleider herauslocken, sie wollten
Geld, um mir angeblich ein Frühstück zu bringen, nachdem sie mein eigenes
Frühstück vor meinen Augen schamlos aufgegessen hatten. Nicht genug
daran. Ich wurde in ein drittes Zimmer vor den Aufseher geführt. Es war das
Zimmer einer Dame, die ich sehr schätze, und ich mußte zusehen, wie dieses
Zimmer meinetwegen, aber ohne meine Schuld, durch die Anwesenheit der
Wächter und des Aufsehers gewissermaßen verunreinigt wurde. Es war nicht
leicht, ruhig zu bleiben. Es gelang mir aber, und ich fragte den Aufseher
vollständig ruhig - wenn er hier wäre, müßte er es bestätigen -, warum ich
verhaftet sei. Was antwortete nun dieser Aufseher, den ich jetzt noch vor mir
sehe, wie er auf dem Sessel der erwähnten Dame als eine Darstellung des
stumpfsinnigsten Hochmuts sitzt? Meine Herren, er antwortete im Grunde
nichts, vielleicht wußte er wirklich nichts, er hatte mich verhaftet und war
damit zufrieden. Er hat sogar noch ein übriges getan und in das Zimmer jener
Dame drei niedrige Angestellte meiner Bank gebracht, die sich damit
beschäftigten, Photographien, Eigentum der Dame, zu betasten und in
Unordnung zu bringen. Die Anwesenheit dieser Angestellten hatte natürlich
noch einen andern Zweck, sie sollten, ebenso wie meine Vermieterin und ihr
Dienstmädchen, die Nachricht von meiner Verhaftung verbreiten, mein
öffentliches Ansehen schädigen und insbesondere in der Bank meine Stellung
erschüttern. Nun ist nichts davon, auch nicht im geringsten, gelungen, selbst
meine Vermieterin, eine ganz einfache Person - ich will ihren Namen hier in
ehrendem Sinne nennen, sie heißt Frau Grubach -, selbst Frau Grubach war
verständig genug, einzusehen, daß eine solche Verhaftung nicht mehr
bedeutet, als einen Anschlag, den nicht genügend beaufsichtigte Jungen auf
der Gasse ausführen. Ich wiederhole, mir hat das Ganze nur
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Buch Der Prozeß"
Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155