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nachgeben sollte. Den flüchtigen Einwand, daß ihn die Frau für das Gericht
einfange, wehrte er ohne Mühe ab. Auf welche Weise konnte sie ihn
einfangen? Blieb er nicht immer so frei, daß er das ganze Gericht, wenigstens
soweit es ihn betraf, sofort zerschlagen konnte? Konnte er nicht dieses
geringe Vertrauen zu sich haben? Und ihr Anerbieten einer Hilfe klang
aufrichtig und war vielleicht nicht wertlos. Und es gab vielleicht keine
bessere Rache an dem Untersuchungsrichter und seinem Anhang, als daß er
ihnen diese Frau entzog und an sich nahm. Es könnte sich dann einmal der
Fall ereignen, daß der Untersuchungsrichter nach mühevoller Arbeit an
Lügenberichten über K. in später Nacht das Bett der Frau leer fand. Und leer
deshalb, weil sie K. gehörte, weil diese Frau am Fenster, dieser üppige,
gelenkige, warme Körper im dunklen Kleid aus grobem, schwerem Stoff,
durchaus nur K. gehörte.
Nachdem er auf diese Weise die Bedenken gegen die Frau beseitigt hatte,
wurde ihm das leise Zwiegespräch am Fenster zu lang, er klopfte mit den
Knöcheln auf das Podium und dann auch mit der Faust. Der Student sah kurz
über die Schulter der Frau hinweg nach K. hin, ließ sich aber nicht stören, ja
drückte sich sogar eng an die Frau und umfaßte sie. Sie senkte tief den Kopf,
als höre sie ihm aufmerksam zu, er küßte sie, als sie sich bückte, laut auf den
Hals, ohne sich im Reden wesentlich zu unterbrechen. K. sah darin die
Tyrannei bestätigt, die der Student nach den Klagen der Frau über sie ausübte,
stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Er überlegte unter Seitenblicken
nach dem Studenten, wie er ihn möglichst schnell wegschaffen könnte, und es
war ihm daher nicht unwillkommen, als der Student, offenbar gestört durch
K.s Herumgehen, das schon zeitweilig zu einem Trampeln ausgeartet war,
bemerkte: »Wenn Sie ungeduldig sind, können Sie weggehen. Sie hätten auch
schon früher weggehen können, es hätte Sie niemand vermißt. Ja, Sie hätten
sogar weggehen sollen, und zwar schon bei meinem Eintritt, und zwar
schleunigst.« Es mochte in dieser Bemerkung alle mögliche Wut zum
Ausbruch kommen, jedenfalls lag darin aber auch der Hochmut des künftigen
Gerichtsbeamten, der zu einem mißliebigen Angeklagten sprach. K. blieb
ganz nahe bei ihm stehen und sagte lächelnd: »Ich bin ungeduldig, das ist
richtig, aber diese Ungeduld wird am leichtesten dadurch zu beseitigen sein,
daß Sie uns verlassen. Wenn Sie aber vielleicht hergekommen sind, um zu
studieren - ich hörte, daß Sie Student sind -, so will ich Ihnen gerne Platz
machen und mit der Frau weggehen. Sie werden übrigens noch viel studieren
müssen, ehe Sie Richter werden. Ich kenne zwar Ihr Gerichtswesen noch
nicht sehr genau, nehme aber an, daß es mit groben Reden allein, die Sie
allerdings schon unverschämt gut zu führen wissen, noch lange nicht getan
ist.« »Man hätte ihn nicht so frei herumlaufen lassen sollen«, sagte der
Student, als wolle er der Frau eine Erklärung für K.s beleidigende Rede
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Buch Der Prozeß"
Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155