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würde, wenn die Unterredung wirklich zustande käme. Im übrigen erzählte
sie mir erst gestern und nur ganz flüchtig davon, sie sagte hierbei, daß auch
Ihnen jedenfalls nicht viel an der Unterredung liegen könne, denn Sie wären
nur durch einen Zufall auf einen derartigen Gedanken gekommen und würden
selbst auch ohne besondere Erklärung, wenn nicht schon jetzt, so doch sehr
bald die Sinnlosigkeit des Ganzen erkennen. Ich antwortete darauf, daß das
richtig sein mag, daß ich es aber zur vollständigen Klarstellung doch für
vorteilhaft hielte, Ihnen eine ausdrückliche Antwort zukommen zu lassen. Ich
bot mich an, diese Aufgabe zu übernehmen, nach einigem Zögern gab meine
Freundin mir nach. Ich hoffe, nun aber auch in Ihrem Sinne gehandelt zu
haben; denn selbst die kleinste Unsicherheit in der geringfügigsten Sache ist
doch immer quälend, und wenn man sie, wie in diesem Falle, leicht beseitigen
kann, so soll es doch besser sofort geschehen.« »Ich danke Ihnen«, sagte K.
sofort, stand langsam auf, sah Fräulein Montag an, dann über den Tisch hin,
dann aus dem Fenster - das gegenüberliegende Haus stand in der Sonne - und
ging zur Tür. Fräulein Montag folgte ihm ein paar Schritte, als vertraue sie
ihm nicht ganz. Vor der Tür mußten aber beide zurückweichen, denn sie
öffnete sich, und der Hauptmann Lanz trat ein. K. sah ihn zum erstenmal aus
der Nähe. Es war ein großer, etwa vierzigjähriger Mann mit
braungebranntem, fleischigem Gesicht. Er machte eine leichte Verbeugung,
die auch K. galt, ging dann zu Fräulein Montag und küßte ihr ehrerbietig die
Hand. Er war sehr gewandt in seinen Bewegungen. Seine Höflichkeit gegen
Fräulein Montag stach auffallend von der Behandlung ab, die sie von K.
erfahren hatte. Trotzdem schien Fräulein Montag K. nicht böse zu sein, denn
sie wollte ihn sogar, wie K. zu bemerken glaubte, dem Hauptmann vorstellen.
Aber K. wollte nicht vorgestellt werden, er wäre nicht imstande gewesen,
weder dem Hauptmann noch Fräulein Montag gegenüber irgendwie
freundlich zu sein, der Handkuß hatte sie für ihn zu einer Gruppe verbunden,
die ihn unter dem Anschein äußerster Harmlosigkeit und Uneigennützigkeit
von Fräulein Bürstner abhalten wollte. K. glaubte jedoch, nicht nur das zu
erkennen, er erkannte auch, daß Fräulein Montag ein gutes, allerdings
zweischneidiges Mittel gewählt hatte. Sie übertrieb die Bedeutung der
Beziehung zwischen Fräulein Bürstner und K., sie übertrieb vor allem die
Bedeutung der erbetenen Aussprache und versuchte, es gleichzeitig so zu
wenden, als ob es K. sei, der alles übertreibe. Sie sollte sich täuschen, K.
wollte nichts übertreiben, er wußte, daß Fräulein Bürstner ein kleines
Schreibmaschinenfräulein war, das ihm nicht lange Widerstand leisten sollte.
Hierbei zog er absichtlich gar nicht in Berechnung, was er von Frau Grubach
über Fräulein Bürstner erfahren hatte. Das alles überlegte er, während er
kaum grüßend das Zimmer verließ. Er wollte gleich in sein Zimmer gehen,
aber ein kleines Lachen des Fräulein Montag, das er hinter sich aus dem
Eßzimmer hörte, brachte ihn auf den Gedanken, daß er vielleicht beiden, dem
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Buch Der Prozeß"
Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155