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der Tür zur Rumpelkammer blieb er ein wenig stehen und horchte. Es war
ganz still. Der Mann konnte die Wächter totgeprügelt haben, sie waren ja
ganz in seine Macht gegeben. K. hatte schon die Hand nach der Klinke
ausgestreckt, zog sie dann aber wieder zurück. Helfen konnte er niemandem
mehr, und die Diener mußten gleich kommen; er gelobte sich aber, die Sache
noch zur Sprache zu bringen und die wirklich Schuldigen, die hohen
Beamten, von denen sich ihm noch keiner zu zeigen gewagt hatte, soweit es
in seinen Kräften war, gebührend zu bestrafen. Als er die Freitreppe der Bank
hinunterging, beobachtete er sorgfältig alle Passanten, aber selbst in der
weiteren Umgebung war kein Mädchen zu sehen, das auf jemanden gewartet
hätte. Die Bemerkung Franzens, daß seine Braut auf ihn warte, erwies sich als
eine allerdings verzeihliche Lüge, die nur den Zweck gehabt hatte, größeres
Mitleid zu erwecken.
Auch noch am nächsten Tage kamen K. die Wächter nicht aus dem Sinn; er
war bei der Arbeit zerstreut und mußte, um sie zu bewältigen, noch ein wenig
länger im Büro bleiben als am Tag vorher. Als er auf dem Nachhausewege
wieder an der Rumpelkammer vorbeikam, öffnete er sie wie aus Gewohnheit.
Vor dem, was er statt des erwarteten Dunkels erblickte, wußte er sich nicht zu
fassen. Alles war unverändert, so wie er es am Abend vorher beim Öffnen der
Tür gefunden hatte. Die Drucksorten und Tintenflaschen gleich hinter der
Schwelle, der Prügler mit der Rute, die noch vollständig ausgezogenen
Wächter, die Kerze auf dem Regal, und die Wächter begannen zu klagen und
riefen: »Herr!« Sofort warf K. die Tür zu und schlug noch mit den Fäusten
gegen sie, als sei sie dann fester verschlossen. Fast weinend lief er zu den
Dienern, die ruhig an den Kopiermaschinen arbeiteten und erstaunt in ihrer
Arbeit innehielten. »Räumt doch endlich die Rumpelkammer aus!« rief er.
»Wir versinken ja im Schmutz!« Die Diener waren bereit, es am nächsten Tag
zu tun, K. nickte, jetzt spät am Abend konnte er sie nicht mehr zu der Arbeit
zwingen, wie er es eigentlich beabsichtigt hatte. Er setzte sich ein wenig, um
die Diener ein Weilchen lang in der Nähe zu behalten, warf einige Kopien
durcheinander, wodurch er den Anschein zu erwecken glaubte, daß er sie
überprüfe, und ging dann, da er einsah, daß die Diener nicht wagen würden,
gleichzeitig mit ihm wegzugehen, müde und gedankenlos nach Hause.
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Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155