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hoffnungsloser waren. Ein Verzeichnis dieser Prozesse habe er hier in der
Schublade - hierbei klopfte er an irgendeine Lade des Tisches - die Schriften
könne er leider nicht zeigen, da es sich um Amtsgeheimnisse handle.
Trotzdem komme jetzt natürlich die große Erfahrung, die er durch alle diese
Prozesse erworben habe, K. zugute. Er habe natürlich sofort zu arbeiten
begonnen, und die erste Eingabe sei schon fast fertiggestellt. Sie sei sehr
wichtig, weil der erste Eindruck, den die Verteidigung mache, oft die ganze
Richtung des Verfahrens bestimme. Leider, darauf müsse er K. allerdings
aufmerksam machen, geschehe es manchmal, daß die ersten Eingaben bei
Gericht gar nicht gelesen würden. Man lege sie einfach zu den Akten und
weise darauf hin, daß vorläufig die Einvernahme und Beobachtung des
Angeklagten wichtiger sei als alles Geschriebene. Man fügt, wenn der Petent
dringlich wird, hinzu, daß man vor der Entscheidung, sobald alles Material
gesammelt ist, im Zusammenhang natürlich, alle Akten, also auch diese erste
Eingabe, überprüfen wird. Leider sei aber auch dies meistens nicht richtig, die
erste Eingabe werde gewöhnlich verlegt oder gehe gänzlich verloren, und
selbst wenn sie bis zum Ende erhalten bleibt, werde sie, wie der Advokat
allerdings nur gerüchtweise erfahren hat, kaum gelesen. Das alles sei
bedauerlich, aber nicht ganz ohne Berechtigung. K. möge doch nicht außer
acht lassen, daß das Verfahren nicht öffentlich sei, es kann, wenn das Gericht
es für nötig hält, öffentlich werden, das Gesetz aber schreibt Öffentlichkeit
nicht vor. Infolgedessen sind auch die Schriften des Gerichts, vor allem die
Anklageschrift, dem Angeklagten und seiner Verteidigung unzugänglich, man
weiß daher im allgemeinen nicht oder wenigstens nicht genau, wogegen sich
die erste Eingabe zu richten hat, sie kann daher eigentlich nur zufälligerweise
etwas enthalten, was für die Sache von Bedeutung ist. Wirklich zutreffende
und beweisführende Eingaben kann man erst später ausarbeiten, wenn im
Laufe der Einvernahmen des Angeklagten die einzelnen Anklagepunkte und
ihre Begründung deutlicher hervortreten oder erraten werden können. Unter
diesen Verhältnissen ist natürlich die Verteidigung in einer sehr ungünstigen
und schwierigen Lage. Aber auch das ist beabsichtigt. Die Verteidigung ist
nämlich durch das Gesetz nicht eigentlich gestattet, sondern nur geduldet, und
selbst darüber, ob aus der betreffenden Gesetzesstelle wenigstens Duldung
herausgelesen werden soll, besteht Streit. Es gibt daher strenggenommen gar
keine vom Gericht anerkannten Advokaten, alle, die vor diesem Gericht als
Advokaten auftreten, sind im Grunde nur Winkeladvokaten. Das wirkt
natürlich auf den ganzen Stand sehr entwürdigend ein, und wenn K. nächstens
einmal in die Gerichtskanzleien gehen werde, könne er sich ja, um auch das
einmal gesehen zu haben, das Advokatenzimmer ansehen. Er werde vor der
Gesellschaft, die dort beisammen sei, vermutlich erschrecken. Schon die
ihnen zugewiesene enge, niedrige Kammer zeige die Verachtung, die das
Gericht für diese Leute hat. Licht bekommt die Kammer nur durch eine kleine
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Buch Der Prozeß"
Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155