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daran einzudringen. schließlich einigten sie sich darauf, daß sie den alten
Herrn ermüden wollten. Immer wieder wurde ein Advokat ausgeschickt, der
die Treppe hinauflief und sich dann unter möglichstem, allerdings passivem
Widerstand hinunterwerfen ließ, wo er dann von den Kollegen aufgefangen
wurde. Das dauerte etwa eine Stunde, dann wurde der alte Herr, er war ja
auch von der Nachtarbeit schon erschöpft, wirklich müde und ging in seine
Kanzlei zurück. Die unten wollten es erst gar nicht glauben und schickten
zuerst einen aus, der hinter der Tür nachsehen sollte, ob dort wirklich leer
war. Dann erst zogen sie ein und wagten wahrscheinlich nicht einmal zu
murren. Denn den Advokaten - und selbst der Kleinste kann doch die
Verhältnisse wenigstens zum Teil übersehen - liegt es vollständig ferne, bei
Gericht irgendwelche Verbesserungen einführen oder durchsetzen zu wollen,
während - und dies ist sehr bezeichnend - fast jeder Angeklagte, selbst ganz
einfältige Leute, gleich beim allerersten Eintritt in den Prozeß an
Verbesserungsvorschläge zu denken anfangen und damit oft Zeit und Kraft
verschwenden, die anders viel besser verwendet werden könnten. Das einzig
Richtige sei es, sich mit den vorhandenen Verhältnissen abzufinden. Selbst
wenn es möglich wäre, Einzelheiten zu verbessern - es ist aber ein unsinniger
Aberglaube -, hätte man bestenfalls für künftige Fälle etwas erreicht, sich
selbst aber unermeßlich dadurch geschadet, daß man die besondere
Aufmerksamkeit der immer rachsüchtigen Beamtenschaft erregt hat. Nur
keine Aufmerksamkeit erregen! Sich ruhig verhalten, selbst wenn es einem
noch so sehr gegen den Sinn geht! Einzusehen versuchen, daß dieser große
Gerichtsorganismus gewissermaßen ewig in der Schwebe bleibt und daß man
zwar, wenn man auf seinem Platz selbständig etwas ändert, den Boden unter
den Füßen sich wegnimmt und selbst abstürzen kann, während der große
Organismus sich selbst für die kleine Störung leicht an einer anderen Stelle -
alles ist doch in Verbindung - Ersatz schafft und unverändert bleibt, wenn er
nicht etwa, was sogar wahrscheinlich ist, noch geschlossener, noch
aufmerksamer, noch strenger, noch böser wird. Man überlasse doch die Arbeit
dem Advokaten, statt sie zu stören. Vorwürfe nützen ja nicht viel, besonders
wenn man ihre Ursachen in ihrer ganzen Bedeutung nicht begreiflich machen
kann, aber gesagt müsse es doch werden, wieviel K. seiner Sache durch das
Verhalten gegenüber dem Kanzleidirektor geschadet habe. Dieser
einflußreiche Mann sei aus der Liste jener, bei denen man für K. etwas
unternehmen könne, schon fast zu streichen. Selbst flüchtige Erwähnungen
des Prozesses überhöre er mit deutlicher Absicht. In manchem seien ja die
Beamten wie Kinder. Oft können sie durch Harmlosigkeiten, unter die
allerdings K.s Verhalten leider nicht gehöre, derartig verletzt werden, daß sie
selbst mit guten Freunden zu reden aufhören, sich von ihnen abwenden, wenn
sie ihnen begegnen, und ihnen in allem möglichen entgegenarbeiten. Dann
aber einmal, überraschenderweise ohne besonderen Grund, lassen sie sich
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Buch Der Prozeß"
Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155