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Schwierigkeiten, die er bei Ausführung seiner Büroarbeit fühlte, nun auch im
Prozeß beginnen? Jetzt allerdings begriff er es gar nicht mehr, wie es möglich
gewesen war, daß er an Titorelli hatte schreiben und ihn in die Bank einladen
wollen.
Er schüttelte noch den Kopf darüber, als der Diener an seine Seite trat und
ihn auf drei Herren aufmerksam machte, die hier im Vorzimmer auf einer
Bank saßen. Sie warteten schon lange darauf, zu K. vorgelassen zu werden.
Jetzt, da der Diener mit K. sprach, waren sie aufgestanden, und jeder wollte
eine günstige Gelegenheit ausnutzen, um sich vor den anderen an K.
heranzumachen. Da man von seiten der Bank so rücksichtslos war, sie hier im
Wartezimmer ihre Zeit verlieren zu lassen, wollten auch sie keine Rücksicht
mehr üben. »Herr Prokurist«, sagte schon der eine. Aber K. hatte sich vom
Diener den Winterrock bringen lassen und sagte, während er ihn mit Hilfe des
Dieners anzog, allen dreien: »Verzeihen Sie, meine Herren, ich habe
augenblicklich leider keine Zeit, Sie zu empfangen. Ich bitte Sie sehr um
Verzeihung, aber ich habe einen dringenden Geschäftsgang zu erledigen und
muß sofort weggehen. Sie haben ja selbst gesehen, wie lange ich jetzt
aufgehalten wurde. Wären Sie so freundlich, morgen oder wann immer
wiederzukommen? Oder wollen wir die Sachen vielleicht telephonisch
besprechen? Oder wollen Sie mir vielleicht jetzt kurz sagen, worum es sich
handelt, und ich gebe Ihnen dann eine ausführliche schriftliche Antwort. Am
besten wäre es allerdings, Sie kämen nächstens.« Diese Vorschläge K.s
brachten die Herren, die nun vollständig nutzlos gewartet haben sollten, in
solches Staunen, daß sie einander stumm ansahen. »Wir sind also einig?«
fragte K., der sich nach dem Diener umgewendet hatte, der ihm nun auch den
Hut brachte. Durch die offene Tür von K.s Zimmer sah man, wie sich draußen
der Schneefall sehr verstärkt hatte. K. schlug daher den Mantelkragen in die
Höhe und knöpfte ihn hoch unter dem Halse zu.
Da trat gerade aus dem Nebenzimmer der Direktor-Stellvertreter, sah
lächelnd K. im Winterrock mit den Herren verhandeln und fragte: »Sie gehen
jetzt weg, Herr Prokurist?« »Ja«, sagte K. und richtete sich auf, »ich habe
einen Geschäftsgang zu machen.« Aber der Direktor-Stellvertreter hatte sich
schon den Herren zugewendet. »Und die Herren?« fragte er. »Ich glaube, sie
warten schon lange.« »Wir haben uns schon geeinigt«, sagte K. Aber nun
ließen sich die Herren nicht mehr halten, umringten K. und erklärten, daß sie
nicht stundenlang gewartet hätten, wenn ihre Angelegenheiten nicht wichtig
wären und nicht jetzt, und zwar ausführlich und unter vier Augen, besprochen
werden müßten. Der Direktor-Stellvertreter hörte ihnen ein Weilchen zu,
betrachtete auch K., der den Hut in der Hand hielt und ihn stellenweise von
Staub reinigte, und sagte dann: »Meine Herren, es gibt ja einen sehr einfachen
Ausweg. Wenn Sie mit mir vorlieb nehmen wollen, übernehme ich sehr gerne
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Buch Der Prozeß"
Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155