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vom Gericht, man spricht in unseren Kreisen überhaupt von nichts anderem;
kaum bekam ich die Möglichkeit, selbst zu Gericht zu gehen, nützte ich sie
immer aus, unzählbare Prozesse habe ich in wichtigen Stadien angehört und,
soweit sie sichtbar sind, verfolgt, und - ich muß es zugeben - nicht einen
einzigen wirklichen Freispruch erlebt.« »Keinen einzigen Freispruch also«,
sagte K., als rede er zu sich selbst und zu seinen Hoffnungen. »Das bestätigt
aber die Meinung, die ich von dem Gericht schon habe. Es ist also auch von
dieser Seite zwecklos. Ein einziger Henker könnte das ganze Gericht
ersetzen.« »Sie dürfen nicht verallgemeinern«, sagte der Maler unzufrieden,
»ich habe ja nur von meinen Erfahrungen gesprochen.« »Das genügt doch«,
sagte K., »oder haben Sie von Freisprüchen aus früherer Zeit gehört?«
»Solche Freisprüche«, antwortete der Maler, »soll es allerdings gegeben
haben. Nur ist es sehr schwer, das festzustellen. Die abschließenden
Entscheidungen des Gerichts werden nicht veröffentlicht, sie sind nicht
einmal den Richtern zugänglich, infolgedessen haben sich über alte
Gerichtsfälle nur Legenden erhalten. Diese enthalten allerdings sogar in der
Mehrzahl wirkliche Freisprechungen, man kann sie glauben, nachweisbar
sind sie aber nicht. Trotzdem muß man sie nicht ganz vernachlässigen, eine
gewisse Wahrheit enthalten sie wohl gewiß, auch sind sie sehr schön, ich
selbst habe einige Bilder gemalt, die solche Legenden zum Inhalt haben.«
»Bloße Legenden ändern meine Meinung nicht«, sagte K., »man kann sich
wohl auch vor Gericht auf diese Legenden nicht berufen?« Der Maler lachte.
»Nein, das kann man nicht«, sagte er. »Dann ist es nutzlos, darüber zu reden«,
sagte K., er wollte vorläufig alle Meinungen des Malers hinnehmen, selbst
wenn er sie für unwahrscheinlich hielt und sie anderen Berichten
widersprachen. Er hatte jetzt nicht die Zeit, alles was der Maler sagte, auf die
Wahrheit hin zu überprüfen oder gar zu widerlegen, es war schon das
Äußerste erreicht, wenn er den Maler dazu bewog, ihm in irgendeiner, sei es
auch in einer nicht entscheidenden Weise zu helfen. Darum sagte er: »Sehen
wir also von der wirklichen Freisprechung ab, Sie erwähnten aber noch zwei
andere Möglichkeiten.« »Die scheinbare Freisprechung und die
Verschleppung. Um die allein kann es sich handeln«, sagte der Maler.
»Wollen Sie aber nicht, ehe wir davon reden, den Rock ausziehen? Es ist
Ihnen wohl heiß.« »Ja«, sagte K., der bisher auf nichts als auf die Erklärungen
des Malers geachtet hatte, dem aber jetzt, da er an die Hitze erinnert worden
war, starker Schweiß auf der Stirn ausbrach. »Es ist fast unerträglich.« Der
Maler nickte, als verstehe er K.s Unbehagen sehr gut. »Könnte man nicht das
Fenster öffnen?« fragte K. »Nein«, sagte der Maler. »Es ist bloß eine fest
eingesetzte Glasscheibe, man kann es nicht öffnen.« Jetzt erkannte K., daß er
die ganze Zeit über darauf gehofft hatte, plötzlich werde der Maler oder er
zum Fenster gehen und es aufreißen. Er war darauf vorbereitet, selbst den
Nebel mit offenem Mund einzuatmen. Das Gefühl, hier von der Luft
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Buch Der Prozeß"
Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155