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von unten: »Nur noch einen Augenblick; wollen Sie nicht noch ein Bild
sehen, das ich Ihnen verkaufen könnte?« K. wollte nicht unhöflich sein, der
Maler hatte sich wirklich seiner angenommen und versprochen, ihm weiterhin
zu helfen, auch war infolge der Vergeßlichkeit K.s über die Entlohnung für
die Hilfe noch gar nicht gesprochen worden, deshalb konnte ihn K. jetzt nicht
abweisen und ließ sich das Bild zeigen, wenn er auch vor Ungeduld zitterte,
aus dem Atelier wegzukommen. Der Maler zog unter dem Bett einen Haufen
ungerahmter Bilder hervor, die so mit Staub bedeckt waren, daß dieser, als ihn
der Maler vom obersten Bild wegzublasen suchte, längere Zeit atemraubend
K. vor den Augen wirbelte. »Eine Heidelandschaft«, sagte der Maler und
reichte K. das Bild. Es stellte zwei schwache Bäume dar, die weit
voneinander entfernt im dunklen Gras standen. Im Hintergrund war ein
vielfarbiger Sonnenuntergang. »Schön«, sagte K., »ich kaufe es.« K. hatte
unbedacht sich so kurz geäußert, er war daher froh, als der Maler, statt dies
übelzunehmen, ein zweites Bild vom Boden aufhob. »Hier ist ein Gegenstück
zu diesem Bild«, sagte der Maler. Es mochte als Gegenstück beabsichtigt
sein, es war aber nicht der geringste Unterschied gegenüber dem ersten Bild
zu merken, hier waren die Bäume, hier das Gras und dort der
Sonnenuntergang. Aber K. lag wenig daran. »Es sind schöne Landschaften«,
sagte er, »ich kaufe beide und werde sie in meinem Büro aufhängen.« »Das
Motiv scheint Ihnen zu gefallen«, sagte der Maler und holte ein drittes Bild
herauf, »es trifft sich gut, daß ich noch ein ähnliches Bild hier habe.« Es war
aber nicht ähnlich, es war vielmehr die völlig gleiche Heidelandschaft. Der
Maler nützte diese Gelegenheit, alte Bilder zu verkaufen, gut aus. »Ich nehme
auch dieses noch« , sagte K. »Wieviel kosten die drei Bilder?« »Darüber
werden wir nächstens sprechen«, sagte der Maler. »Sie haben jetzt Eile, und
wir bleiben doch in Verbindung. Im übrigen freut es mich, daß Ihnen die
Bilder gefallen, ich werde Ihnen alle Bilder mitgeben, die ich hier unten habe.
Es sind lauter Heidelandschaften, ich habe schon viele Heidelandschaften
gemalt. Manche Leute weisen solche Bilder ab, weil sie zu düster sind, andere
aber, und Sie gehören zu ihnen, lieben gerade das Düstere.« Aber K. hatte
jetzt keinen Sinn für die beruflichen Erfahrungen des Bettelmalers. »Packen
Sie alle Bilder ein!« rief er, dem Maler in die Rede fallend, »morgen kommt
mein Diener und wird sie holen.« »Es ist nicht nötig«, sagte der Maler. »Ich
hoffe, ich werde Ihnen einen Träger verschaffen können, der gleich mit Ihnen
gehen wird.« Und er beugte sich endlich über das Bett und sperrte die Tür
auf. »Steigen Sie ohne Scheu auf das Bett«, sagte der Maler, »das tut jeder,
der hier hereinkommt.« K. hätte auch ohne diese Aufforderung keine
Rücksicht genommen, er hatte sogar schon einen Fuß mitten auf das Federbett
gesetzt, da sah er durch die offene Tür hinaus und zog den Fuß wieder zurück.
»Was ist das?« fragte er den Maler. »Worüber staunen Sie?« fragten dieser,
seinerseits staunend. »Es sind die Gerichtskanzleien. Wußten Sie nicht, daß
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Buch Der Prozeß"
Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155