Seite - 118 - in Der Prozeß
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Küche sein und dem Advokaten eine Suppe kochen.« »Warum haben Sie das
nicht gleich gesagt?« fragte K. »Ich wollte Sie ja hinführen, Sie haben mich
aber wieder zurückgerufen«, antwortete der Kaufmann, wie verwirrt durch die
widersprechenden Befehle. »Sie glauben wohl sehr schlau zu sein«, sagte K.,
»führen Sie mich also!« In der Küche war K. noch nie gewesen, sie war
überraschend groß und reich ausgestattet. Allein der Herd war dreimal so
groß wie gewöhnliche Herde, von dem übrigen sah man keine Einzelheiten,
denn die Küche wurde jetzt nur von einer kleinen Lampe beleuchtet, die beim
Eingang hing. Am Herd stand Leni in weißer Schürze, wie immer, und leerte
Eier in einen Topf aus, der auf einem Spiritusfeuer stand. »Guten Abend,
Josef«, sagte sie mit einem Seitenblick. »Guten Abend«, sagte K. und zeigte
mit einer Hand auf einen abseits stehenden Sessel, auf den sich der Kaufmann
setzen sollte, was dieser auch tat. K. aber ging ganz nahe hinter Leni, beugte
sich über ihre Schulter und fragte: »Wer ist der Mann?« Leni umfaßte K. mit
einer Hand, die andere quirlte die Suppe, zog ihn nach vorn zu sich und sagte:
»Es ist ein bedauernswerter Mensch, ein armer Kaufmann, ein gewisser
Block. Sieh ihn nur an.« Sie blickten beide zurück. Der Kaufmann saß auf
dem Sessel, auf den ihn K. gewiesen hatte, er hatte die Kerze, deren Licht
jetzt unnötig war, ausgepustet und drückte mit den Fingern den Docht, um
den Rauch zu verhindern. »Du warst im Hemd«, sagte K. und wendete ihren
Kopf mit der Hand wieder dem Herd zu. Sie schwieg. »Er ist dein Geliebter?«
fragte K. Sie wollte nach dem Suppentopf greifen, aber K. nahm ihre beiden
Hände und sagte: »Nun antworte!«. Sie sagte: »Komm ins Arbeitszimmer, ich
werde dir alles erklären.« »Nein«, sagte K., »ich will, daß du es hier erklärst.«
Sie hing sich an ihn und wollte ihn küssen. K. wehrte sie aber ab und sagte:
»Ich will nicht, daß du mich jetzt küßt.« »Josef«, sagte Leni und sah K.
bittend und doch offen in die Augen, »du wirst doch nicht auf Herrn Block
eifersüchtig sein. - Rudi«, sagte sie dann, sich an den Kaufmann wendend,
»so hilf mir doch, du siehst, ich werde verdächtigt, laß die Kerze.« Man hätte
denken können, er hätte nicht achtgegeben, aber er war vollständig
eingeweiht. »Ich wüßte auch nicht, warum Sie eifersüchtig sein sollten«, sagte
er wenig schlagfertig. »Ich weiß es eigentlich auch nicht«, sagte K. und sah
den Kaufmann lächelnd an. Leni lachte laut, benützte die Unaufmerksamkeit
K.s, um sich in seinen Arm einzuhängen, und flüsterte: »Laß ihn jetzt, du
siehst ja, was für ein Mensch er ist. Ich habe mich seiner ein wenig
angenommen, weil er eine große Kundschaft des Advokaten ist, aus keinem
andern Grund. Und du? Willst du noch heute mit dem Advokaten sprechen?
Er ist heute sehr krank, aber wenn du willst, melde ich dich doch an. Über
Nacht bleibst du aber bei mir, ganz gewiß. Du warst auch schon so lange nicht
bei uns, selbst der Advokat hat nach dir gefragt. Vernachlässige den Prozeß
nicht! Auch ich habe dir Verschiedenes mitzuteilen, was ich erfahren habe.
Nun aber zieh fürs erste deinen Mantel aus!« Sie half ihm, sich auszuziehen,
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Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155