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sich abschütteln, und der Geistliche, der jetzt ein großes Zartgefühl bewies,
duldete es und nahm K.s Bemerkung schweigend auf, obwohl sie mit seiner
eigenen Meinung gewiß nicht übereinstimmte.
Sie gingen eine Zeitlang schweigend weiter, K. hielt sich eng neben dem
Geistlichen, ohne zu wissen, wo er sich befand. Die Lampe in seiner Hand
war längst erloschen. Einmal blinkte gerade vor ihm das silberne Standbild
eines Heiligen nur mit dem Schein des Silbers und spielte gleich wieder ins
Dunkel über. Um nicht vollständig auf den Geistlichen angewiesen zu
bleiben, fragte ihn K.: »Sind wir jetzt nicht in der Nähe des Haupteinganges?«
»Nein«, sagte der Geistliche, »wir sind weit von ihm entfernt. Willst du schon
fortgehen?« Obwohl K. gerade jetzt nicht daran gedacht hatte, sagte er sofort.
»Gewiß, ich muß fortgehen. Ich bin Prokurist einer Bank, man wartet auf
mich, ich bin nur hergekommen, um einem ausländischen Geschäftsfreund
den Dom zu zeigen.« »Nun«, sagte der Geistliche, und reichte K. die Hand,
»dann geh.« »Ich kann mich aber im Dunkel allein nicht zurechtfinden«, sagte
K. »Geh links zur Wand«, sagte der Geistliche, »dann weiter die Wand
entlang, ohne sie zu verlassen, und du wirst einen Ausgang finden.« Der
Geistliche hatte sich erst ein paar Schritte entfernt, aber K. rief schon sehr
laut: »Bitte, warte noch!« »Ich warte«, sagte der Geistliche. »Willst du nicht
noch etwas von mir?« fragte K. »Nein«, sagte der Geistliche. »Du warst
früher so freundlich zu mir«, sagte K., »und hast mir alles erklärt, jetzt aber
entläßt du mich, als läge dir nichts an mir.« »Du mußt doch fortgehen«, sagte
der Geistliche. »Nun ja«, sagte K., »sieh das doch ein.« »Sieh du zuerst ein,
wer ich bin«, sagte der Geistliche. »Du bist der Gefängniskaplan«, sagte K.
und ging näher zum Geistlichen hin, seine sofortige Rückkehr in die Bank
war nicht so notwendig, wie er sie dargestellt hatte, er konnte recht gut noch
hierbleiben. »Ich gehöre also zum Gericht«, sagte der Geistliche. »Warum
sollte ich also etwas von dir wollen. Das Gericht will nichts von dir. Es nimmt
dich auf, wenn du kommst, und es entläßt dich, wenn du gehst.«
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Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155