Seite - 14 - in Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte
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14 EINLEITUNG
des gelegenheitsgebundenen Vortrags, in der die schriftliche Fixierung nur subsidiäre
Bedeutunghatte.WesentlicheWerkesindunsoftmalsnurmehrdurchTitelnennung,In-
haltsangaben oder Szenare bekannt, sind in Jahrzehnte jüngeren und dementsprechend
überformten Fassungen überliefert oder lassen sich lediglich per analogiam erschlie-
ßen; der größte Teil dialektaler Kunst aus dieser Frühzeit muss ohnedies als verloren
gelten. Was festgehalten wurde, liegt zumeist in handschriftlichen Varianten vor, die
im lyrischen und (klein-)epischen Bereich von Folklorisierungs- und Umsingeprozes-
sen, imdramatischenvonUmarbeitungenundLeerstellenfürExtemporesgeprägtsind.
Mit dem rigiden Werkbegriff literaturwissenschaftlicher Prägung und seinen Implika-
tionen wie Abgeschlossenheit, Eigenständigkeit, Autor-Instanz und Authentizität lässt
sich diese ständigen Transformationen unterworfene Dialektkunst kaum fassen. Kein
Wunder also, dass sich das Interesse der Editionsphilologie an diesen Werken (die nur
selten auch einem konkreten Autor zugeordnet werden können) bislang in Grenzen
hielt. Ein Großteil der grundlegenden Studien und Ausgaben hat sein Zentenarium
bereits hinter sich, folgt je nach Untersuchungsfokus fragwürdigen editorischen
GrundsätzenoderwissenschaftlichenPrämissen,derenErgebnissezuweilennichtmehr
andeninzwischenverlorenenQuellenzuüberprüfensind.7 JüngereArbeitenbeschrän-
kensichzumeistaufEinzeluntersuchungenausverschiedenenkulturwissenschaftlichen
Disziplinen ohne umfassenderen systematischen Anspruch. Unter diesen Bedingungen
wurde Dialektkunst in den Epochendarstellungen marginalisiert, auch wenn sie zum
Teilweitausstärker inderAlltagskulturverankertwarundimGebrauchstandalsheute
kanonisierteWerkedieserZeit.
Die Aufarbeitung der Materialbasis ist freilich kein einfaches Unterfangen. Schwie-
rigkeiten bereitet bereits die Identi zierung dialektaler Kunst.8 Besonders heikel ist in
diesemZusammenhangdieFragedesVerhältnissesvonBuchstabeundLaut,daSchrei-
ben eben kein Transkribieren von Gesprochenem 9 ist. Da normierte Graphien fehlen,
präsentieren sich literarische Mundartverschriftlichungen in den verschiedensten Ab-
stufungen, von der phonologisch möglichst präzise wiedergegebenen basisdialektalen
Phrase bis hin zur lesefreundlicheren standardnahen Formulierung, deren morphosyn-
7 So nehmen Editoren und Forscher des 19. und auch noch frühen 20. Jahrhunderts bisweilen gutmei-
nend und durchaus wohlbedacht teils nicht unbeträchtliche Korrekturen am Text vor. Quellentreue ist
zu dieser Zeit schlicht kein Teil forschungsrelevanter Paradigmen vielmehr wird eine Verp ichtung den
Textzeugnissen gegenüber erst gar nicht re ektiert, verschrieb man sich doch allem voran der dialektalen
bzw. lautlichen Authentizität, die bei Vorliegen eines diesbezüglich als unzulänglich beurteilten Text-
zeugnisses in den Editionen völlig selbstverständlich sorgfältig nachbessernd
wiederhergestellt` wurde.
Editorische Eingriffe dieser Art nden sich etwa bei August Hartmann, einem der wichtigsten Vermitt-
ler dialektaler (heute zum Teil nicht mehr einsehbarer) Quellen, vgl. hierzu exemplarisch Marko Ikonic´:
Von dem Entsaz wien. Ein dialektales Propagandalied aus der Liedersammlung Ms. germ. oct. 230 der
StaatsbibliothekzuBerlin. In:ebda.,S.118 132;hier121ff.).
8 Zur Krux des nur mittelbaren Zugriffs auf intendierte Dialektalität (S.59) vgl. Stefanie Edler: Mündlich
Verwurzeltes schriftlich konserviert. Überlegungen zur schriftlichen Repräsentation in der Überlieferung
vonDialektliteraturdes17.und18. Jahrhunderts. In: ebda.,S.39 59.
9 Utz Maas: Schrift Schreiben Rechtschreiben. In: Diskussion Deutsch 16 (1985), S.4 25, hier 7. Buch-
staben lassen sich so Maas nicht als Abbildung von Lautzeichen verstehen; sie sind rein formale
Distinktionselemente , deren Organisation in Re exion auf die Organisation der Sprechsprache entwi-
ckeltwordenist (ebda.,S.8).
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen