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78 GLAUBE UND ABERGLAUBE
wilds Fakl durch den G'selln hinaufgschickt, und etwas in einem Papierl für die würdige Mutter
mitg'nommen, und hernach seynd wir hin aufs Kloster, und wies die Klosterfraun gsehn habn,
wievielunserseynd,ich,undderVatter,undeinFakl,undWein,undfürnP.BeichtvatterMessen,
nahher haben wir gessen, und truncken, grad gnug, und da habn wir gschnittne Nudl und eine
Henn,einePastetten,Fleisch,Kraut,Karminadldrauf,Hühner,Hasen,Antn,Kopn,undhernach
allerhandGschnattlwerk,unddahatderVattergsagt,hörtsauf, ichwaißjanimmerwohindamit,
müßt einem ia d'Wampen verspringen, und da habens g'lacht, und habn gsagt, ich brauch ohne
dem einen Blasbalg, den ich soll s Orglschlagn lernen, und damits der H. Gödt waiß, jetzt lern
ichdasOrgelschlagn.108
Martl] Koseform für Martin Gödt] Taufpate Jeserl] Jesuspuppe als Kinderersatz für Nonnen Dalkerei]
Dummheit nächst] vor kurzem Diendl] Mädchen Gschnür] Miederkettchen Ablaßpfening] vom Papst ge-
weihterSchaupfennig(silbernfürHöhergestellte)coralinenFeigen]ausKorallengeschnitzteFaustmitdurch
Zeige- und Mittel nger gestecktem Daumen, am Geschnür befestigt zur Abwehr von Dämonen rosenfarbe-
nen Skapulierbändl] (kleines) Skapulier: zwei mit Schnüren verbundene kleine Stoffvierecke, die als Symbol
derHingabeanChristusaufRückenundBrustgetragenwerden;rotsindPassionsskapuliereFakl]FerkelKar-
minadl] Rostbraten Antn] Enten Kopn] Kapaun: Masthahn Gschnattlwerk] Geschnätzeltes, unbedeutendes,
ausvielenTeilenbestehendesZeug d'Wampen]derBauch
Natürlich spielt Bucher hier mit den Klischeebildern von feisten Ordensleuten, die es
sich auf Kosten ihrer Untertanen gut gehen ließen, ist die Überzeichnung doch wichti-
gesStilelementseinerPolemikimSinnederkatholischenAufklärung.InsandereExtrem
wird das Klosterleben in der sehr simplen Scherzklage Capucini verzerrt, die ein Vier-
teljahrhundert zuvor ein Klostergeistlicher vermutlich in der Gegend von Ingolstadt
handschriftlich festhielt. Hier lamentiert ein Kapuziner über sein hartes Dasein, zumal
über das schlechte Essen, das wohl auch für die im Refrain beklagte Flatulenz verant-
wortlich ist:
1
unser lebenwarschonrecht,
wansnonitwargarsoschlecht.
auwe,wieblatsmi,auwe,wieblatsmi.
[...] 6
diebitschenbier,diewarschonrecht,
diekost isthalt zimlaschlecht.
auweheetc.
7
öp ,birn,gersten, reis
ist fastunser täglichspeis.
auweetc. 8
alleweil collation,
dermagenwillhaltanitdran.
auweheetc.
9
unddabeykeindropfnwein,
kintdenawasschlechters sein.
auweheetc.
[...] 14
wassa trinckhanodazue,
warunsbodensitzengnue.
auweetc.
15
anbrokhabrod,dengibtmaher
freßainaofft3mahlmehr.
auweetc. 16
drauff sollmaschlaffengehen,
kanainerkaumaufnbainernstehen,
auweetc.
108 [Anton von Bucher]: Auserlesenes Delieberierbüchlein oder geistliches Suchverlohren. Von einem alten
Klosterbeichtvater. Noch unverdorbenen Mädchen und Jünglingen ans Herzen gelegt. Mit Erlaubniß der
Obernankaiserlich.Grenzen. [o.O.,o.V.]1784,S.92f.
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Buch Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte"
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen