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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte
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7 KÖRPER UND SINNLICHKEIT Als wesentliches ästhetisches Mittel konzeptioneller Mündlichkeit ist der Dialekt prä- destiniert, Intimität auszudrücken und somit auch jene Dinge anzusprechen, die der normativeAufklärungsdiskursausderLiteraturzueliminierenversuchte.Dennobwohl die aufkommende Anthropologie im 18. Jahrhundert das Wissen über den Menschen und seine psychischen und physischen Funktionen in den Mittelpunkt des Erkenntni- sinteresses rückte, tat man sich schwer, allzu betonte Sinnlichkeit und Kreatürlichkeit als imaginative Kompensate in einer Schriftkultur zu akzeptieren.1 Erst nach 1800 wird diepostulierteHarmonievonKörperundSeele immerdeutlicheralsUtopiedekuvriert, die einen realistischen Blick auf die tatsächlichen Erscheinungsformen des Menschli- chen blockiert. Hatte man mit der Darstellung von Brutalität weniger Hemmungen, waren Körperlichkeit, Anzüglichkeiten und ausschweifender Sinnesgenuss allenfalls in toposgeschichtlich gerechtfertigter mythologischer Einkleidung und Tradition akzepta- bel. In der ngierten Mündlichkeit der Dialektliteratur allerdings hatte das Nichtauf- schreibbare oder Nichtaufschreibenswerte stets ein Refugium. Ihre implizite Logik des Transitorischen, des üchtigen Worts, entzog sich dem Anspruch des Bewahrens- und Verbreitenswerten,denLiteralisierungvermittelt,undstelltesomiteinVentildarfürden Druck, der sich mit den Lern- und Transformationsprozessen der Sozialdisziplinierung in der Frühen Neuzeit stetig steigerte.2 Verstärkt durch die soziolektale Stigmatisie- rungderProtagonistenalsebenjenen,diesichdemProjektbürgerlicherErziehungund Selbstoptimierung auch sprachlich verweigerten, war hier ein ästhetischer Gegenraum gegeben, in dem das Tabuisierte, Abstoßende und Obszöne seinen gleichsam ‚ moment- haften` Ausdruck ndenkonnte.AlsobrigkeitlichgeahndeterVerstoßgegenGeschmack undSittenderjeweiligenZeitbliebenfreilichwenigüberraschendnurmarginaleBruch- stücke dieser als minderwertig und anstößig erachteten ‚ Gegenkunst` in authentischen Quellen schriftlich erhalten. Auch in der Forschung fanden diese Dichtungen als ‚ apo- kryphe`, nicht anerkannte Volkskunst in weiterer Folge nur wenig Beachtung; erst die mutigenArbeitenvonFriedrichS.Krauß,EmilKarlBlümmloderGustavGugitzzuBe- ginn des 20. Jahrhunderts präsentierten das Material für ein realistischeres, ideologisch unverfälschtesGesamtbildderVolksdichtung.3 EinezentraleDomänedesDialektalenwardieVerbalisierungdesKreatürlich-Trieb- haften, das in der nähesprachlichen Formulierung die Pädagogisierungs- und Ratio- 1 GrundsätzlichdazuWolfgangIser:DasFiktiveunddasImaginäre.Perspektiven literarischerAnthropolo- gie.Frankfurta.M.:Suhrkamp1992.– HansJürgenSchings(Hg.):DerganzeMensch.Anthropologieund Literatur im18. Jahrhundert.DFG-Symposion.Stuttgart,Weimar:Metzler1994. 2 Vgl. Winfried Schulze: Gerhard Oestreichs Begriff der ‚ Sozialdisziplinierung in der Frühen Neuzeit`. In: Zeitschrift fürHistorischeForschung14(1987),S.287– 317. 3 Vgl. dazu u.a. Rolf Wilhelm Brednich: Erotisches Lied. In: Rolf Wilhelm Brednich/Lutz Röhrich/Wolf- gang Suppan (Hg.): Handbuch des Volksliedes. Bd. I: Die Gattungen des Volksliedes. München: Finke 1973,S.575– 615.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 Eine andere Literaturgeschichte
Titel
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Untertitel
Eine andere Literaturgeschichte
Autoren
Christian Neuhuber
Stefanie Edler
Elisabeth Zehetner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20630-9
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
652
Schlagwörter
Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800