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physischen verstanden und somit gewissermaßen als ein ›Danach‹ des klassischen
Museumsdispositivs. Arbeiten, die zwischen physischem und virtuellem Museum ir-
gendeine Form von Kontinuität diagnostizieren, findet man kaum: Das erwähnte
Buch aus der Feder Ross Parrys bildet hier wohl die prominenteste Ausnahme.
Nimmt man indes die konkrete Funktionalität musealer Vermittlung in den Blick,
so fällt unweigerlich auf, dass Museen in ihrer ganzen Anlage einer sehr viel ›ver-
netzteren‹ Vermittlungsphilosophie folgen als alle anderen etablierten Einrichtungen
unserer kommemorativen Kultur. Der Grund hierfür ist derselbe wie jener für Valérys
Anfall von Informationsangst im Museumsraum: Würden Museen wie Archive oder
Bibliotheken arbeiten und den Zugriff auf ihre Ausstellungsstücke über Katalogsys-
teme abwickeln, dann wären diese Exponate kaum aussagekräftig. Museen vernetzen
Ausstellungsstücke auf ganz ähnliche Weise, wie das World Wide Web Webseiten
vernetzt: Dinge, die für sich allein unscharf und vieldeutig bleiben müssten, werden
Aussagekräftig gemacht, indem man sie zueinander in Relation setzt ‒ und somit na-
türlich auch zum musealen Raum selbst. Vor diesem Hintergrund erscheint es durch-
aus folgerichtig, dass die meisten virtuellen Museen in Gestalt ganz gewöhnlicher
HTML-Seiten daherkommen, und nicht etwa in jener aufwändig produzierter, com-
puterspielartiger virtual reality-Formate. Stellt man also das Primat das Materiellen
für einen Augenblick zur Seite, so scheinen die Kommunikationsstrukturen des Mu-
seums sich viel mehr für eine Transposition in bestehende digitale Infrastrukturen zu
eignen als jene von Archiv und Bibliothek, die Schriftmedien sammeln ‒ und dies
ausdrücklich gerade weil Museen ihr Mitteilungssystem mit materiellen Objekten in
der Architektur physischer Räumlichkeiten entfalten.
Die vorliegende Arbeit will keine Streitschrift sein. Sie will auch nicht den an-
maßenden Versuch unternehmen, eine alle Diskussion beendende Bestandsaufnahme
über das Problemfeld der Museumsvirtualisierung zu werden. Vielmehr möchte der
Autor diese Studie als den Versuch zum Anstoß einer erneuten Diskussion nicht nur
über virtuelle Museen, sondern vielmehr über die Rolle der Institution Museum in
einer von digitalen Medientechnologien durchdrungenen Kulturwelt verstanden wis-
sen. Die von der existierenden Forschungsliteratur weitgehend unbeantwortete (und
womöglich für die Zukunft der Institution kardinale) Frage ist nicht länger jene, wie
neue Medien mit traditionellen Leitlinien musealer Vermittlung brechen und den
Sinn einer vom Versprechen des ›Echten‹ lebenden Einrichtung theoretisch-grund-
sätzlich und praktisch-konkret ins Zwielicht stellen. Vielmehr muss sie lauten: Wo
überlagern sich das Museum und das Web, wo bilden sie Schnittmengen in Funktion
und gesellschaftlicher Erwartungshaltung aus, wo greifen sie ineinander (oder könn-
ten sie ineinandergreifen) ‒ und wie ist das Museum womöglich in eine Medienge-
schichte einzureihen, deren jüngstes Kapitel eben jenes der sogenannten ›Digitalisie-
rung‹ ist?
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien