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werfer montiert waren, und weiter hinten einen gepflügten Ackerstreifen, der mit
Minen gespickt war, wie ich von Flüchtlingen gehört hatte. Als wir an dem Wacht-
turm vorbeifuhren, sprang ein Soldat mit einer Maschinenpistole auf den letzten
Wagen […] Auf der anderen Seite des Bahndamms stand noch ein Wachtturm,
fast zur Gänze durch ein großes Willkommensschild verdeckt, das eine Frie-
denstaube trug. (ST 146)
Das Bild des Wachturms, der durch eine Friedenstaube, die der Erzähler als
Attrappe erkennt, verdeckt wird, soll – auf recht plakative Weise – die eigentli-
chen, aggressiven Absichten hinter den kommunistischen Friedensinitiativen
entlarven. Die Friedenssymbolik ist bloße Camouflage, da die waffenstarrende
Grenze genau das Gegenteil zum Ausdruck bringt. Nicht zuletzt dadurch wird
in der Darstellung der Grenzbefestigungen des Eisernen Vorhangs eine Dicho-
tomie von „westlicher Identität und östlicher Alterität“27 etabliert.
Das „wilde Jubelgeschrei“ (ST 146) der mit dem Kommunismus sympathisie-
renden Reisenden missfällt Willert. Ein ähnliches „Jubelgeschrei“ stößt auch ein
Korrespondent des Tagebuch anlässlich der Weltjugendfestspiele in Ostberlin
1951 aus, die er mit der „Freien Österreichischen Jugend“ besucht hatte. Er lobt
die DDR-Volkspolizisten, die zu den Einreisenden überaus freundlich sind, „zur
höchsten Achtung allen arbeitenden Menschen gegenüber erzogen“ und in denen
jeder „ehrliche Mensch […] Helfer“ sehen müsse, deren „Freundlichkeit und
Geduld [...] manchmal wirklich bewundernswert“28 seien. Am Ende kommt die
Reportage auf die Vorgängerveranstaltung der „Freien Deutschen Jugend“ im
vorangegangenen Jahr zu sprechen, an der etliche tausend Jugendliche aus der
BRD teilgenommen hatten. Bei ihrer Rückreise aus Ostberlin wurden diese von
den Beamten der BRD an der Grenze gestoppt und ihre Personalien wurden
aufgenommen, denn da sie im Osten auf Stroh geschlafen hätten, hätte Seuchen-
gefahr bestanden. Bertolt Brecht widmete diesem Vorfall das „Tanzlied“, das
hämisch ans Ende des Berichts gestellt wird: „Es läuft irgendwo eine Grenze /
Und sie läuft durch Flur und Wald / Und sie muss ja wohl mitten in Deutsch-
land sein. / Denn da steht das deutsche Wort „Halt!“ / Schlagbaum und Schan-
zen. / Hat das denn Zweck? / Seht doch, wir tanzen / Drüber hinweg.“29
Die zitierte Szene in Wechsbergs Text steht also im Zusammenhang einer
breiter geführten und ideologisch dominierten Debatte über die Durchlässigkeit
der Ost-West-Grenze, die auch in Österreich geführt wurde. 1954 reagiert Fried-
27 Koller: Der „Eiserne Vorhang“, S. 367.
28 Otto Wladika: Diesmal: Ostdeutsche Reportage. Aus dem Notizbuch eines Sonderberichter-
statters. In: Tagebuch 7 (1951) H. 18, S. 1.
29 Bertolt Brecht: Tanzlied [1951] In: Ders.: Werke, Bd. 15, Gedichte und Gedichtfragmente 1940–
1956. Bearb. v. Jan Knopf [u.a.]. Berlin, Weimar: Aufbau; Frankfurt/M.: Suhrkamp 1993, S.
249.
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Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Titel
- Diskurse des Kalten Krieges
- Untertitel
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 742
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918