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1961 mit Hilfe einer der prominentesten Fluchthilfegruppen, die von Detlef
Girrmann, Dieter Thieme und Bodo Köhler organisiert wurde, aus der DDR
geflohen war.69
Die Frage der literarischen Darstellbarkeit der Mauer ergab sich auch aus der
Geheimhaltungspolitik der DDR, denn es war unmöglich, sich der Ostseite der
Mauer zu nähern, um sie aus der Nähe in Augenschein zu nehmen. Wie das
Grenzsystem im Detail konstruiert war, sollte der DDR-Bevölkerung unbekannt
bleiben. So konnte eine genaue Beschreibung der Mauer vorerst nur aus west-
deutscher Perspektive geschehen. Der Gruppe-47-Autor Wolfdietrich Schnurre
etwa gab nach dem Mauerbau die Fotodokumentationsbände Die Mauer des
13.
August (1962) und Berlin. Eine Stadt wird geteilt (1962) heraus, die den fort-
schreitenden Ausbau der Grenzanlagen dokumentieren sollten. Ebenso verfass-
te der Theologe und Autor Eckart Kroneberg eine konkrete Beschreibung der
Grenzsituation in Berlin, die in Hans Werner Richters Dokumentation Die Mau-
er oder der 13. August70 abgedruckt ist. Seine genaue Beschreibung einer Mauer
schildert die Situation an der Bernauer Straße und des umliegenden Territori-
ums; sogar Friedhöfe werden durch die „unnatürliche“ Grenzziehung zu einem
Ort der Teilung: „Auch der Friedhof der Sophienkirche ist zugemauert, auch
hier dürfte die Mauer fünf bis sechs Meter hoch sein. Die Versöhnungskirche
ist zugemauert.“71
Simmel spitzt den alle menschlichen oder religiösen Rücksichten ignorie-
renden Grenzverlauf zu einem grotesken Bild zu. „So, wie das Familiengrab
lag, lief mittendurch die Grenze zwischen dem Französischen Sektor und der
Zone. Der SBZ. Der DDR. Vater ruhte in Westberlin, Mutter im Osten. Wo
Bruno einmal ruhen würde, war ganz ungewiß.“ (LV 79 f.) Die Zonengrenze
reißt Familien auseinander, selbst nach dem Tod.72 Und Bruno selbst wird zur
Symbolfigur eines unschuldig „Zerrissenen“ zwischen Ost und West, der ver-
sucht, mit dem Frontverlauf des Kalten Krieges irgendwie zurechtzukommen.
69 Vgl. Marion Detjen: Ein Loch in der Mauer. Die Geschichte der Fluchthilfe im geteilten Deutsch-
land 1961–1989. München: Siedler 2005, S. 18.
70 Vgl. Hans Werner Richter (Hg.): Die Mauer oder der 13. August. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt
1961.
71 Eckart Kroneberg: Beschreibung einer Mauer. In: Die Zeit, 15.9.1961. Der Text fand auch
Eingang in die Anthologie Die Mauer oder der 13. August, die von Hans Werner Richter
herausgegeben wurde; vgl. Liebermann: Die Berliner Mauer in der deutschen Literatur,
S. 210.
72 Vgl. dazu auch die Figur des Jürgen Machon, ein Jugendlicher, der aufgrund seiner familiären
Umstände „jahrelang zwischen Ost und West hin und her gependelt“ (LV 379) ist. Nach der
Scheidung seiner Eltern lebt er zwar mit dem Vater in der DDR, die Mutter lässt sich jedoch
im „freien Westen“ nieder. Immer wieder gelingt es ihm, hin und her zu wechseln. Jürgen selbst
weiß genau, an welcher Stelle die Grenze durchlässig ist und auch die Mauer stellt für ihn kein
Hindernis dar (vgl. LV 188). Innerdeutsche Grenze und Berliner Mauer 43
Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Titel
- Diskurse des Kalten Krieges
- Untertitel
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 742
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918