Seite - 53 - in Diskurse des Kalten Krieges - Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
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ten der als unsympathisch gezeichneten Autoritäten in Schule und Waisenhaus.
Als er eines Tages spurlos verschwindet, versuchen die Leiter der pädagogischen
Einrichtungen sowie die Vertreter von Politik und Presse aus diesem Vorfall
ideologisches Kapital zu schlagen, indem sie auf die Gefahren hinweisen, die
von jenseits der ungarischen Grenze drohen. Der Schuldirektor stellt der Schul-
klasse drei Presseleute aus Wien vor:
Dank der Herren von der öffentlichen Meinung ist es uns gelungen oder richti-
ger gesagt, ist es der Öffentlichkeit gelungen, das Geheimnis zu lüften. Es besteht
keinerlei Zweifel mehr darüber, daß die von jenseits der Grenze, die Ungarn, den
Ernstl verschleppt haben, wie sie schon so manchen bei Nacht und Nebel haben
verschwinden lassen. Die Herren von der Presse werden hier an Ort und Stelle
genaue Untersuchungen anstellen. Sie werden behilflich sein, das ganze Land und
auch das Ausland auf die unglaublichen Zustände im Grenzgebiet aufmerksam zu
machen. (G 51)
Die hier behauptete zweifellose Klärung des ‚Geheimnisses‘ steht aber aus der
Sicht der drei Freunde Ernstls noch aus. Sie müssen feststellen, dass die Presse-
vertreter keine Nachforschungen anstellen, sondern sich ausschließlich Vergnü-
gungen im Wirtshaus und am Rummelplatz hingeben, sodass der Vater eines
Freundes von Ernstl äußert: „Leichtes Volk [...] und lügen wie gebacken dazu.
Aber wir wissen ja, wer sie dafür bezahlt. Sie saugen sich ihre Geschichten aus
den Fingern und glauben, die Zeitungsleser wären dumm genug, alles, was sie
erzählen, für bare Münze zu nehmen.“ (G 53) Auch der bei den Kindern sehr
beliebte Lehrer Albert erklärt:
diese Geschichte mit Ungarn ist eine ganz besondere und bewußte Bösartigkeit
von diesen Leuten. Sie haben halt Angst, weil Ungarn jetzt eine Volksrepublik ist,
und weil die Arbeiter da drüben, wie man so sagt, ihr Schicksal in die eigenen
Hände genommen haben. [...] Die Frage ist nur, was mit dem Ernstl nun wirklich
geschehen ist. (G 56 f.)
Um diese Frage zu klären, machen sich drei Buben auf die Suche nach ihrem
Freund – auch sie, wie die Protagonisten in Gefährliche Grenze, begleitet von
einem Hund – offenbar ein gattungstypisches Motiv. Die Grenze zu Ungarn
befindet sich am Rande der Ortschaft. Die Buben, die „über die Grenze gegan-
die Widerstandskämpfer in Ungarn waren: „Und wäre die Rote Armee nicht gekommen, wer
weiß was aus uns allen geworden wäre. In Ungarn haben sie, bevor die Rote Armee kam, tau-
sende und zehntausende von Menschen ermordet, die für den Frieden und daher gegen die
Faschisten kämpften.“ (G 59). Aus dem Osten gesehen: Die „unsichtbare“ Grenze 53
Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Titel
- Diskurse des Kalten Krieges
- Untertitel
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 742
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918