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Diskurse des Kalten Krieges - Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
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Im totalitären Staat, so die Pointe des Witzes, hat das Regime die Macht zu definieren, was wahr ist und was Lüge, ohne die Wirklichkeit beachten zu müs- sen. Diese Definitionsmacht übt es auch gegenüber dem Reisenden aus. Ein undurchschaubarer Polizeiapparat bestimmt, was ein Vergehen ist. Auf ironi- sche, bisweilen sogar zynische Weise zeigt Fahrt ins Rote, wie die Selbstdarstel- lungen totalitärer Regimes aufgefasst werden sollen, nämlich als dreiste Lügen. Unvoreingenommenheit und Neutralität bedeuten unter diesen Voraussetzun- gen gefährliche politische Naivität. „Ins Rote“ lässt sich nicht einfach eine ‚Fahrt ins Blaue‘ unternehmen, wie das Wortspiel im Titel suggeriert, dort ist mit lebens- bedrohlichen Konsequenzen zu rechnen. Der letzte Teil der Szenenfolge schließt den Kreis zum ersten: Der „Unvor- eingenommene“, der vom Repressionsapparat des Regimes ebenso willkürlich wieder freigelassen wurde, wie er verhaftet wurde, trifft nach seiner Rückkehr in den Westen den „Skeptiker“ wieder. Der hat mittlerweile seine Zweifel und seine Angst abgelegt und ist seinerseits zu einem „Unvoreingenommenen“ gewor- den, der Demokarpathien bereisen möchte. Der Zurückgekehrte ist in pointier- ter Verkehrung der Ausgangssituation nun derjenige, der – auf der Grundlage seiner Augenzeugenschaft – davor warnt, der karpathischen Propaganda zu glauben. War er in der ersten Sequenz der ‚Doppelconference‘ noch der ‚Dum- me‘, so ist dies nun sein Gesprächspartner. Die dramaturgische Anlage des Stü- ckes entspricht einer klaren Stellungnahme darüber, wer tatsächlich Recht hat, und durch das auf der Bühne Gezeigte soll auch das Publikum sich als Augen- zeuge der Repression und der Willkürherrschaft hinter dem Eisernen Vorhang ansehen. Die Figur des Augenzeugen fungiert also innerhalb des Reise-Narrativs im Kalten Krieg als ein Medium, das über sich hinaus weist auf einen spezifischen Bereich der ‚Wirklichkeit‘, der eine (politisch) legitimierende Funktion besitzt. ten und unter verschiedenen Formen der Diktatur ein und denselben Witz in jeweils den Umständen angepaßter Verkleidung erzählen. Ein Beispiel für ein solches Evergreen unter den Witzen ist der folgende, der im zaristischen Rußland entstanden ist, leicht verändert unter Hit- ler erzählt wurde und heute in allen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang kursiert: Aus einem Zirkus, der im Städtchen gastiert, ist ein Bär ausgebrochen. Tagelang entrinnt er allen Nach- stellungen. Der Schaden, den er anrichtet, wird immer größer. Schließlich setzen die Behörden demjenigen eine ansehnliche Belohnung aus, der den gefährlichen Bären niederschießt. ‚Es ist das beste, wir fliehen!‘ sagt ein Jude zum anderen. ‚Warum?‘ fragt der andere. ‚Du bist doch kein Bär. Ich auch nicht.‘ ‚Geh hin und beweis es ihnen!‘“ Milo Dor, Reinhard Federmann: Der politische Witz. München, Wien, Basel: Desch 1964, S.  322  f. Friedrich Torberg kritisierte in Zusammenhang mit Der politische Witz von Dor/Federmann die inflationäre Verwendung von Witzen, durch die diese Waffe abstumpfen würde. Vgl. Fried- rich Torberg: Über den Witz. Rede für Radiosendung Gedanken zur Zeit, gesendet im Nord- deutschen Rundfunk, 22.8.1965, 18.45–19.00h, 1.  Programm. Literaturarchiv der Österreichi- schen Nationalbibliothek, Nachlass Reinhard Federmann, Sign.: 386/S211a. Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR 90 2 Reisen ins Rote – Augenzeugen hinter dem Eisernen Vorhang
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Diskurse des Kalten Krieges Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
Titel
Diskurse des Kalten Krieges
Untertitel
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2017
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20380-3
Abmessungen
15.9 x 24.0 cm
Seiten
742
Kategorien
Geschichte Nach 1918
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