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und auch bereits Wien verlassen hätte, kam diesen Aufwieglern
sehr ungelegen. Ich habe später aus Prof. Exners Munde ver-
nommen, dass in einer ihrer Berathungen sich bereits ein Wiener
Fleischhauer erbötig gemacht hatte, mich zu ermorden. Nachdem
meine Person aufgehört hatte, ihnen einen so willkommenen Prätext
zu bieten, richteten sie den bereits vorbereiteten Sturm, damit
doch ihre Anstrengung, sich die Regierung dienstbar zu machen,
nicht gänzlich gegenstandslos bleibe, gegen die in jenen Tagen
erschienene Wahlordnung für den österreichischen Senat, und
während der am 14. und 15. Mai in Wien ausgebrochenen Unruhen
wussten Wenige, aus welchem Grunde eigentlich diese Empörung
entstanden sei, da der Versuch einiger Ultras, die Republik zu
proklamiren, fast allgemeinen Unwillen erregt hatte. Nichts desto
weniger suchte, wie bekannt, Kaiser Ferdinand in diesen Tagen
in Tirol einen ruhigeren Aufenthalt.
Ich will mich auch weder über die am 30. Mai von dem neuen
Landespräsidenten Grafen Leo Thun im Einvernehmen mit dem
damaligen kommandirenden General Fürsten Windischgrätz errichtete
provisorische Regierung in Böhmen, zu deren Mitgliede ich ernannt
worden, noch über den ersten Slavenkongress, dessen Präsident
ich fast wider Willen geworden, des Weitern auslassen; es sind
diess ohnehin ziemlich bekannte Dinge. Desto länger werde ich
bei den unglückseligen Pfingsttagen des J. 1848 verweilen,
welche nicht nur jenem Kongresse, sondern auch unsern besten
Hoffnungen ein trauriges Ende bereiteten. r
Ich weiss von keiner Begebenheit aus unseren Tagen, welche
für die Nation verhängnissvollere und schädlichere Folgen gehabt
hätte, als dieser Pfingstaufstand (am 12. Juni u. s. f.); ich bin
auch bis auf den heutigen Tag vollkommen überzeugt, dass, wenn
meine im Nationalausschusse am 12. Mai (und bei anderen öfteren
Gelegenheiten) vorgetragenen Bitten — dass wir unsere mora-
lische Stellung nicht verlassen und uns jeder Appellation an die
Gewalt enthalten — wenn, behaupte ich, diese Bitten gehörig be-
achtet worden wären, die böhmische Nation schon im Laufe des
J. 1848 jenes Mass nationaler und Landes-Rechte erreicht hätte,
welche sie bis auf den heutigen Tag vergeblich zu erringen strebt,
und dass somit die gesammte Geschichte, sowohl Böhmens als der
österreichischen Monarchie, eine erfreulichere Richtung eingeschla-
gen hätte, als es in der That der Fall war. Ich weiss, was ich
sage, und doch halte ich an meiner Behauptung fest, da ich hin-
reichend verlässliche Kunde über die Gesinnung der damals mass-
gebenden Kreise erlangt hatte. Unser grösstc Schaden und die
Quelle alles ferneren Uebels lag darin, dass der auf den Monat
Juni 1848 bereits nicht nur anberaumte, sondern auch vorbereitete
Landtag des Königreiches Böhmen nicht zu Stande kam. Wäre
dieser Landtag zu Stande gekommen und hätte derselbe auf lega-
lem Wege die Forderungen des Landes formulirt, so ist kein Zwei-
fel, dass er an allerhöchstem Orte einer noch grösseren Nachgie-
bigkeit begegnet wäre, als der ungarische Reichstag.
Wer hat diese Katastrofe verschuldet? — Obzwar darüber
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Buch Palacký's Politisches Vermächtniss"
Palacký's Politisches Vermächtniss
- Titel
- Palacký's Politisches Vermächtniss
- Autor
- František Palacký
- Ort
- Prag
- Datum
- 1872
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.0 x 23.6 cm
- Seiten
- 42
- Kategorien
- Dokumente Geschichte