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schon viele Kommentare erschienen sind — grösstentheils von
feindlicher Seite stammend —, so kann man diese Frage doch nicht
in bestimmter Weise beantworten. Ich halte dafür, dass auf allen
Seiten gesündigt wurde, auf der einen mehr, auf der anderen we-
niger, und ich fühle mich selbst nicht ohne Schuld, da ich zum
mindesten die wachsende Gährung d,er Gemüther nicht gehörig
beachtet und mich nicht bemüht hatte, dem Sturme vorzubeugen
Die offenkundigen Hauptfaktoren waren allerdings auf der einen
Seite das k. k. Militär, auf der anderen die Prager Ultra's
(boucharoni) jener Zeit und die Universitätsjugend: allein von den
Haupturhebern im geheimen Hintergrunde besass damals, meines
Dafürhaltens, Niemand eine Ahnung. Und doch isjt bekannt,, dass
bereits im Monate Mai der ungarische Ministerpräsident in Wien
— nachdrücklich — Schritte urgirte, damit der Slavenkongress
kein panslavistisches Gepräge erhalte, sondern lediglich auf
die böhmischen Slaven beschränkt bleibe; warum hatten denn die
Ungarn vor ihm Furcht? Ein nicht minder bedeutsames Faktum
ist ferner, dass bereits vor den Pfingsten, in den ersten Tagen
des Juni, in Wien schreckliche Gerüchte über eine grosse Empö-
rung in Prag und über ein Bombardement der Stadt cirkulirten,
so dass die Regierung selbst es für nothwendig erachtete, durch
eine öffentliche Erklärung am 7. Juni solche Reden widerlegen zu
lassen und die Gemüther der Wiener zu beschwichtigen. Als ich
diese Proklamation las, lachte ich darüber und machte auch an-
dere Leute auf dieselbe aufmerksam; ich ahnte allerdings nicht,
dass der Klatsch sobald zur traurigen Wahrheit werden sollte.
Allein, lässt sich nicht daraus schliessen, dass viele Wiener nicht
nur derartige Ereignisse herbeiwünschten — der Wunsch ist der
Vater des Gedankens —, sondern sie auch kaum erwarten
konnten, und wohl wussten, weshalb? Auf die berüchtigte Sage
von der „weit und breit verzweigten Verschwörung* werde ich so-
gleich an passender Stelle zu sprechen kommen.
Unsere Radikalen, belehrt und aufgestachelt von den Wie-
nern, hatten bereits vor Ende Mai gegen die Regierung zu schü-
ren begonnen, angeblich weil sie eine Reaktion plane; sogar der
böhmische Nationalausschuss war ihnen nicht freisinnig genug;
der kommandirende General Fürst Windischgrätz wurde als der
geschworne Feind und Mörder der Konstitution und Freiheit ver-
schrieen, und man forderte laut, er möge seines Amtes enthoben
werden. Ich hatte mit ihm eine Unterredung und überzeugte mich,
dass man ihm Unrecht that; allerdings war er jedoch entschlos-
sen, die bedrohte Autorität der Regierung zu schützen. Allein
seine Offiziere dachten nicht alle so edel, wie ihr Anführer; jedes
Erscheinen der Nation unter Waffen (Nationalgarde, Svornost
u. a.) beleidigte sie, auch hassten sie zumeist das böhmische Volk
und konnten es nicht erwarten, bis sich ihnen ein Anlass bieten
würde, es für sein angeblich keckes Gebahren und allerlei Aus-
schreitungen zu bestrafen. Andererseits beneidete die Prager Stu-
dentenschaft die Wiener Commilitonen um ihren in den Märzta-
gen erworbenen Ruhm und brannte vor Begierde, sich bei der
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Buch Palacký's Politisches Vermächtniss"
Palacký's Politisches Vermächtniss
- Titel
- Palacký's Politisches Vermächtniss
- Autor
- František Palacký
- Ort
- Prag
- Datum
- 1872
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.0 x 23.6 cm
- Seiten
- 42
- Kategorien
- Dokumente Geschichte