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Bedeckung seiner Bestrebungen mit dem Scheine des Rechtes und
der Gerechtigkeit verleiten; denn so lange in den grossen Welt-
kämpfen nicht jene Meinung verworfen wird, dass das Ueber-
gewicht der rohen Gewalt die Quelle des internationalen Rechtes
sei, kann man nicht gewärtigen, dass sich alle Menschen auch in
ihren privaten Verhältnissen von dem Grundsatze: „Was du nicht
willst, dass dir geschehe, das thue auch einem andern nicht,u
welcher der Born jeglicher Tugend und Gerechtigkeit ist, leiten
lassen werden. Niemand wird in Abrede stellen, dass auch das
Kapital in den Händen des Reichen zum Nachtheile jener mis-
braucht wird, die nur von ihrer Hände Arbeit zu leben genöthigt
sind, und dass auch zwischen Fabrikanten und Arbeitern sich
ähnliche Verhältnisse bilden, wie sie bis zum J. 1848 zwischen
Gutsherren und Unterthanen bestanden, dass somit alles, was
immer an diesen Verhältnissen Gewalt und Unrecht bedeutet,
schliesslich den Anforderungen der Gerechtigkeit gemäss gesetzlich
geregelt und reformirt werden muss. Hinsichtlich der Nothwendig-
keit und des Zweckes einer derartigen Reform gibt es unter uns
weder Streit noch Zweifel: allerdings jedoch hinsichtlich der Mittel
und Wege, die zu derselben führen. Unter diesen wären die von
den Anhängern der berüchtigten sogenannten „Internationale"
beantragten, nämlich: die Aufhebung des Eigentumsrechtes, des
Familienrechtes, des Erbrechtes u. s. w., nicht nur gottlos und
sündhaft, sondern auch an und für sich thöricht und würden nicht
zum Ziele führen. Gesetzt auch den Fall, der Communismus liesse
sich ohne einen blutigen Krieg aller gegen alle realisiren, so würde
er doch binnen kurzer Zeit das gesammte Menschengeschlecht
einem Zustande der Verthierung zuführen und den Darwinschen
Gedanken direkt umkehren; dem Socialismus aber kann man
nur insoferne beipflichten, als er im Sinne der christlichen Ur-
kirche oder der vormaligen Böhmischen Brüdergemeinde, woselbst
Arm und Reich treulich ihre Solidarität fühlten und bereitwilligst
einander Hilfe leisteten, erfasst und prakticirt wird. Da nicht alle
Menschen von Natur aus gleich begabt sind, noch auch bei allen
sich eine gleiche Thätigkeit, gleicher Fleiss und gleiche Wirt-
schaftlichkeit, gleiche Strebungen und Leidenschaften zeigen:
darum wird eine vollkommene Gleichheit aller Menschen, sowohl
hinsichtlich der Arbeit, als auch hinsichtlich des Vermögens und
Genusses, ewig eine Utopie sein und bleiben; und darum sollten
sich auch verständige und gutgesinnte Leute nicht durch solche
Theorien beirren lassen. Den Einwurf, den man oft zu hören be-
kommt, dass auch die Arbeiter nicht durchwegs ohneMackel sind,
dass ihre lautesten Wortführer grösstentheils selbst mehr nach
Bequemlichkeit und Genuss als nach Arbeit, Ordnung und Recht
trachten, will ich hier nicht erörtern. — Nicht viel geringer ist
die Täuschung, welche in dem Gedanken liegt, dass das allge-
meine Stimmrecht dem Arbeiterstande zu einer bessern Lage
verhelfen würde. Vor allem stelle ich die Frage: Was ist eine
allgemeine Abstimmung, und ist eine solche möglich? Genügt es
überhaupt ein Mensch zu sein, damit man ein giltiges Votum
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Palacký's Politisches Vermächtniss
- Titel
- Palacký's Politisches Vermächtniss
- Autor
- František Palacký
- Ort
- Prag
- Datum
- 1872
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.0 x 23.6 cm
- Seiten
- 42
- Kategorien
- Dokumente Geschichte