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hinsichtlich einer richtigen Gestaltung der socialen und staatlichen
Verhältnisse abgeben könne? Und wenn dem so ist, mit welchem
Rechte verweigert man es nicht nur allen Proletariern ohne Aus-
nahme, sondern auch Weibern und Kindern beiderlei Geschlechtes
bis zu den Wickelkindern herab? Und wie wollt ihr den Modus
einer solchen Abstimmung feststellen? Es ist offenbar, dass auch
die Vertheidiger des allgemeinen Stimmrechtes Grenzen voraus-
setzen, an welchen es stehen zu bleiben hat — gewöhnlich gleich
hinter ihnen, so dass wenigstens ihre Klasse noch an der allge-
meinen Abstimmung participiren soll — nur besitzen und kennen
sie keinen Rechtstitel dazu. Das Recht der öffentlichen Abstimmung
in konstitutionellen Staaten ist weder ein natürliches noch ein all-
gemein menschliches (wie z. B. die Gewissensfreiheit, das Selbst-
bestimmungsrecht u. a.), sondern ein pol i t isches Recht, es ist
ein öffentliches Amt, wozu nur diejenigen berufen zu werden
pflegen, welche vor andern dazu tauglich und befähigt sind. Wer
dieses in Abrede stellen wollte, müsste mit logischer Nothwendig-
keit schliesslich auch der Absurdität beipflichten, dass nicht allein
die Gemeinde- und Bezirksvorstände, sondern auch die Minister
und Regenten ganzer Reiche lediglich durch das Los, und zwar
sogar auch unter Kindern, ausgewählt werden sollten. Auch mit
der Wahl einiger Arbeiter zu Abgeordneten in die parlamentarischen
Vertretungskörper wäre eher dem Ehrgeize einiger Personen, als
dem Vortheile der gesammten Arbeiterschaft gedient. Wenn z. B.
die Emancipation des Bauernstandes auf dem Reichstage von 1848
lediglich von der Anwesenheit einiger Landleute abhängig gewesen
wäre, dann wäre sie meinem Dafürhalten gemäss gar nicht ge-
lungen: allein das Recht dieser Volksklasse war bereits längst
von allen liberalen und gerechten Reichstagsmitgliedern anerkannt
worden. Es lässt sich nicht leugnen, dass es lediglich offene Gewalt
war, was ursprünglich eine Klasse der Menschheit in Knechtschaft
versetzt hatte, und
„Greuel ist die Knechtschaft Gott dem Herrn,
Sünde, freiwillig den Nacken ihr zu bieten"
singt bereits ein alter Dichter in der Königinhöfer Handschrift;
deshalb war nichts anderes nöthig, als das Werk der alten Sünde
aufzuheben. Auch die Arbeiter werden den nöthigen Schutz ihrer
Interessen auf legislativem Wege nur dann erringen, wenn sie vor-
erst die öffentliche Meinung von der Gerechtigkeit ihrer Ansprüche
überzeugt haben werden. Diess werden sie jedoch allerdings weder
durch eitle Sophistik, noch durch* blossen Lärm, noch durch ge-
heime Verschwörungen und Bündnisse, noch auch endlich dadurch
bewerkstelligen,* dass sie ihre Zuflucht zur Gewalt nehmen, son-
dern lediglich durch verständige und gründliche Nachweisung und
Darlegung des wirklichen Rechtes und Unrechtes. Dessen mögen
somit die Arbeiter allezeit beflissen sein, und auf den endlichen
Sieg des Rechtes vertrauen. Ihr Process ist allerdings nicht so
einfach und so klar durchzublicken, wie ehemals die Streitfrage
zwischen der Gutsobrigkeit und den Unterthanen; in den Arbei-
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Buch Palacký's Politisches Vermächtniss"
Palacký's Politisches Vermächtniss
- Titel
- Palacký's Politisches Vermächtniss
- Autor
- František Palacký
- Ort
- Prag
- Datum
- 1872
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.0 x 23.6 cm
- Seiten
- 42
- Kategorien
- Dokumente Geschichte