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Gegensatz hiezu bildet wieder meine bekannte Wallfahrt- nach
Moskau im Jahre 1867: und welcher Deutsche oder Magyare
könnte sich ihrer erinnern, ohne diesen Verrath an der westlichen
Civilisation, ja an der Freiheit und Humanität überhaupt zu
rügen? Und während ich in einer gewissen Koterie in St. Peters-
burg bis auf den heutigen Tag als gefährlicher Revolutionär ver-
schrien bin, musste ich wiederum noch im Jahre 1870 in einem
der hervorragendsten russischen Blätter eine scharfe wider mich
gerichtete Auslassung beinahe im Geiste der Wiener „Neuen Fr.
Presse" lesen, in welcher mir zum Vorwurfe gemacht wurde, ich
sei ein schrecklicher Reaktionär und hätte mich gegen die Russen
falsch benommen, indem ich 1848 anders gesprochen hätte, als im
Jahre 1867. Ich werde daher offen und aufrichtig sprechen, und
meine ganze vorraalige und gegenwärtige Gesinnung darlegen, damit
Freund und Feind sie kennen zu lernen und zu beurtheilen vermögen.
Vor allem bekenne ich, dass ich den Augenblick, in welchem
ich mich zur Wallfahrt nach Petersburg und Moskau entschlossen, auch
zur Stunde nicht nur nicht bereue, sondern vielmehr segne. Wenn
Reisen überhaupt, namentlich aber nach Deutschland, England, Frank-
reich, Italien, ja sogar nach Amerika, Jedermann als vortheilhaft
anempfohlen werden, weil man hiedurch viele Kenntnisse erwerbe:
warum sollte eine Reise durch Russland für uns nur schädlich und
sündhaft sein? Ich fand bei meiner Reise Anlass, manche meiner
Meinungen zu berichtigen und in allerlei Fragen, welche unser natio-
nales Leben tief berühren, gründlicheren Einblick zu thun! Hiebei
versäumte ich keine Gelegenheit, die sich hie und da. darbot, mein
politisches Programm, gerade so wie es auch meine Freunde thaten,
zu vertheidigen; dieses Programm war und ist aber das „födera-
listische Oesterreich.a
Dass hingegen unsere Feinde bei uns nicht bloss politische
Absichten, sondern auch Konspirationspläne witterten, darüber
wundere ich mich nicht. Ihr eigenes Gewissen belehrte sie, welche
Gründe wir gegen sie besässen, wenn wir so gesinnt wären, wie sie.
Sie urtheilen eben nur nach blinden Antrieben und Leiden-
schaften, keineswegs jedoch nach der Vernunft und faktischem
Wissen. Die Deutschen lachten einst und zwar mit Recht, als vor
vielen Jahren von französischen Witzbolden die Frage diskutirt
wurde: „L'Allemand peut-it avoirde Tesprit?" Sie selbst jedoch —
und zwar gilt diess nicht bloss von den Pedanten unter ihnen —
pflegen nicht korrekter zu urtheilen, sobald sie auf die Slaven über-
haupt und insbesondere auf die Russen zu sprechen kommen. Beim
blossen Gedanken an dieselben bläht sich ihr Sinn auf und im
Bewusstsein ihrer Superiorität preisen sie sich glücklich, wie der
Pharisäer im Evangelium, dass sie nicht so sind, wie diese — in
der Kultur zurückgebliebenen Halbbarbaren. Indess reicht ihr
Wissen von uns und den Russen auch heute nicht weiter, als ehedem
die Kenntnisse der Franzosen von den Deutschen reichten; und
weil die andern westlichen Nationen ihr Urtheil über uns, als das Ur-
theil vermeintlicher autorisirter Allwisser und unserer allernächsten
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Buch Palacký's Politisches Vermächtniss"
Palacký's Politisches Vermächtniss
- Titel
- Palacký's Politisches Vermächtniss
- Autor
- František Palacký
- Ort
- Prag
- Datum
- 1872
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.0 x 23.6 cm
- Seiten
- 42
- Kategorien
- Dokumente Geschichte