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60 AnfängeaufdemTheater–DerSchrei,denniemandhört!
Der ‚Glanz‘derWeltaußerhalb istabernurFirnisunddieNötesindhierwie
dortdiegleichen:„Wie istdieWelt soanders,vonder ichkomme,undwie ist
siedochwiederähnlichmitdeinemSorgengesicht.“ (DS25)
BetrachtetmandasPersoneninventardesStückes,sostechen–wieSchnitzler
befindet – einige „gut geseheneFiguren“158 hervor, die charakteristisch für
Erzählungenausder jüdischenLebenswelt sind.
Sofindet sich inGestaltderFrauFleckdieFigurder ‚jüdischenMutter‘–
wiesie inderLiteraturnach1945vermehrtgestaltetwordenist–,derenstarke
emotionalemit großerVerlustangst gepaarte Bindung an ihreKinder sich,
insbesonderebeidenSöhnen, inFormvonNeurosenniederschlägt,159weiters
diedes skrupellosenGeschäfts-undMöchtegern-LebemannsFeuer, der, in
derRegieanweisung allerdings eindeutignegativ gezeichnet, antisemitische
Klischeesbedient (vgl.:DS6),dieFigurdervomLebenverhärtetenKupplerin
Geizesowiediedes imUmgangmitFrauenungeschicktenSchlehmilWottich
(vgl.:DS11,14ff.).
BesondersrepräsentativfürErzählungenausdemostjüdischenSchtetl istdie
BeschreibungreligiöserRitenundBräuche:„DerSabbatbildetdenbeständigen
HintergrundderGhettogeschichten,abersie spielenauchimmerwiederauf
diezentraleStellungderhohenFesttage imLebenallerGhetto-Judenan.“160
DiesesvonOberals„konstantesLeitmotivderGhettogeschichte“161bezeich-
neteMerkmal fehltbeiFeldmannvöllig, einIndizdafür,dass sich–wiebereits
erwähnt–die gefühlsmäßigeBindungderAutorenundAutorinnenandas
Ghetto inderSpätphasedesGenreszu lockernbeginnt.
Bei Feldmannkreist das LebenderGhettobewohner nichtmehr umdie
beidenPoleSynagogesowieHeimundFamilie,vielmehrwirdderzentrale reli-
giöseOrthierdurchdenprofanendesKramladensderFrauGeizeersetzt.Auch
derBegriffder ‚Familie‘hatdenRaumdesPrivatengesprengt: „beiunsessen
alleNachtmahl“ (DS8),undsichaufdieGemeinschaftderGhettobewohner
ausgedehnt.
AngesichtsderBezeichnungdesStückesals ‚Trauerspiel‘ imUntertitel,das
hierallerdingsnicht imbürgerlichen, sondernvielmehrkleinbürgerlichenMi-
lieuangesiedelt ist, lässt sichdergattungsspezifischeInterpretationsspielraum
auch inRichtungsozialesDramaundkritischesVolksstückerweitern.162So
158 ArthurSchnitzler:Tagebucheintragungvom12.02.1916. In:ArthurSchnitzler:Tagebuch
Band1913–1916.Wien.VÖAWS. 265.
159 GertrudKolmar:Die jüdischeMutter (1965),PhilipRoth:PortnoysBeschwerden(1969),
RafaelSeligmann:Die jiddischeMamme(1990).
160 KennethH.Ober:DieGhettogeschichte.O. a.: S. 24.
161 Ebd.:S. 20.
162 Vgl.:UrsulaHassel:FamiliealsDrama.StudienzueinerThematik imbürgerlichenTrauer-
spiel,WienerVolkstheaterundkritischenVolksstück.Bielefeld.Aisthesis2002;Franziska
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0 | CC BY-NC-ND 4.0
© 2021, Böhlau Verlag Ges.m.b.H. & Co. KG, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien
Else Feldmann: Schreiben vom Rand
Journalistin und Schriftstellerin im Wien der Zwischenkriegszeit
- Titel
- Else Feldmann: Schreiben vom Rand
- Untertitel
- Journalistin und Schriftstellerin im Wien der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Elisabth H. Debazi
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21213-3
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- L
- Kategorie
- Biographien