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2 Einführung
Die „Gauleitung Oberdonau“ hatte ähnliche Beobachtungen gemacht:
Lernet-Holenia war während der Systemzeit dauernd in Gesell-
schaft von Jüdinnen zu sehen [...] Der Angefragte bemüht sich
zwarheuteersichtlich,denAnforderungendesneuenReichesge-
recht zu werden, doch ist seine innere Einstellung zur NSDAP
keineswegspositiv. InmoralischerHinsichtgenießterkeinenguten
Ruf. Lernet-Holenia bringt demnach nicht die Voraussetzungen mit
sich, die von einem Offizier der Deutschen Wehrmacht zu erwarten
sind.58
Lernet-Holenia ist unverheiratet – und wird es bis 1945 bleiben –; seine
Freundinnen indiesenJahrensindeinerseitsdieerwähnteLilySporer
undandererseitsdieModistinOlgaLeitner,kurz„Olly“,59 es scheintaber
gesichert, dass Lernet-Holenias Hang zur Promiskuität nicht bei zwei
oderdreiparallelenBeziehungenhaltmachte.Naturgemäßwarendie
meistendieserVerhältnisseoberflächlich-erotischerNatur–wieLernet-
Holenias Beziehungsleben überhaupt von einem gewissen Unwillen
undwohlaucheinemgewissenUnvermögenzu festenBindungenauf
Augenhöhegekennzeichnetgewesen seindürfte.
Antisemitismus und Sexismus auf charakteristische Art und Weise: „Das Motiv der
‚schönen Jüdin‘ [...] ist ein mehr oder weniger vordergründig erotisches Bild und
orientiert sich oft an biblischen Vorbildern wie Judith, Salome, Esther oder Rahel. [...]
InderAtmosphäredesausgehenden19. Jahrhunderts [...] erfährt auchdasKlischee
der ‚belle juive‘ eine deutliche Sexualisierung. Die Jüdin ist durch die Taufe nicht mehr
domestizierbar. Ihre Schönheit wird nicht nur als anziehend, sondern vor allem als
bedrohlich empfunden, und sie dient als Projektionsfläche für unzählige Unterwerfungs-
und Machtphantasien“ (Gabriele Kohlbauer-Fritz: „La belle juive“ und „die schöne
Schickse“. In: Sander L. Gilman/Robert Jütte/Gabriele Kohlbauer-Fritz [Hrsg.]: „Der
schejne Jid.“ Das Bild des jüdischen Körpers in Mythos und Ritual. Wien: Picus Verlag
1998, S. 109–122, hier S.110). Ihren wohl wirkungsmächtigsten Niederschlag fand die
Ineinssetzung des „Jüdischen“ mit dem „Weiblichen“ in Otto Weiningers Hauptwerk
GeschlechtundCharakter (1903),woesu.a.heißt: „Der Jude ist ewigdasWeib, ewig
nichtalsPersönlichkeit, sondernalsGattung“ (OttoWeininger:GeschlechtundCharakter.
Eine prinzipielle Untersuchung. München: Matthes & Seitz Verlag 1980, S.430). Zu
diesemThemavgl. u.a.HildegardFrübis:DieSchöneJüdin.BildervomEigenenund
vomFremden. In:Projektionen.RassismusundSexismus inderVisuellenKultur.Marburg:
JonasVerlag1997,S.112–124,oderSanderL.Gilman/RobertJütte/GabrieleKohlbauer-
Fritz (Hrsg.): „Der schejneJid.“DasBilddes jüdischenKörpers inMythosundRitual.Wien:
PicusVerlag1998.
58 GauleitungderNSDAPOberdonauandieGauleitungderNSDAPWien.17.Okt. 1940
(zitiertnach Rocˇek: Dieneun Leben, S.225). „Systemzeit“ bezeichnetden austrofaschis-
tischenStändestaat.
59 Vgl. S.219,Anm.zu vonOlgahabe ichguteNachrichten.
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Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Title
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Subtitle
- Briefe 1938-1945
- Author
- Christopher Dietz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 468
- Categories
- Weiteres Belletristik