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2.2 Bedeutung fürBiografieundWerk
Nun ist dieVerquickungvon Fatumund Geschichteeinezweifelhafte
Sache: Wo das Schicksal am Werk ist, braucht die Schuldfrage nicht
gestelltwerden–einVorwurf,denLernetsich jedochzumindest fürMars
imWidder nichtgefallen lassenmuss.ZuBeginndesRomans stellt der
Erzähler klar, dassdas Schicksal keineswegsblind und unbeeinflussbar
waltet:
Manche Leute behaupten zwar: wie man lebe, sei lediglich vom
eigenen Willen abhängig [...]. Aber es gibt auch solche, die wahr-
haben wollen, daß die Lose der Lebenden von niemand anders
als vom Schicksal geworfen würden. Wahrscheinlich hängt jede
Existenzebenvonbeidemab.AlleindiezweiMachtbereiche,des
Willens sowohl wie des Schicksals, sind inkongruent. Sie decken
sichniemals vollkommen.Bestimmt istnureines:daßdieseSphä-
ren ineinandergreifenunddaßdasSchicksaldemWillenundder
Willen letztenEndesnurdemSchicksaldient–wovondasFolgende
einBeispiel seinmöge.171
Im Übrigen tauchen in den Briefen an Lotte Sweceny immer wieder
mythisierende Schilderungen auf, in denen der apokalyptische Anklang
derKrebswanderunggleichsamwiderhallt:
Neulich war der ganze See mit krabbelnden Baumwanzen bedeckt.
Auf jeder [sic!] Quadratklafter war eine. Es ist schon sonderbar
indiesemJahr. ImFrühjahrwarenüberall kleine, toteVögel.Die
Baumwanzen, offenbar, hatten sich zu einem großen Fluge zu-
sammengerottetund waren alle ins Wasser gefallen.Gegen Abend
wurdensievondenFischengefressen.Etpisces comederunt illas.
(S.132)
Die Peters, aus dem Rössl, haben auf einem Weg einen ganzen
Knäuel von Schlangen gefunden, ein Dutzend oder mehr. Was mag
Dichters (Studies in Austrian Literature, Culture And Thought). Riverside, CA: Ariadne
Press2005,S.41–56,hierS.47.
171 A.Lernet-Holenia:Mars imWidder, S.6.DassLernetdie „mythisierendeFatalisierung
der Historie [...] bewußtund distanziert als eine ArtVerfremdungseffekt [anwendet],
umdas Ereignis zu hinterfragenund dasProblem desmodernen Subjektsundseiner
Verantwortungzustellen“,argumentiertetwaPollet (Jean-JacquesPollet:DiePhantastik
derAnnexion.AlexanderLernet-HoleniasLektüredesAnschlusses inDerGraf vonSt.
Germain [1948]. In:HélèneBarrière/ThomasEicher/ManfredMüller [Hrsg.]:Schuld-
Komplexe.DasWerkAlexanderLernet-Holenias imNachkriegskontext.Oberhausen:Athena
Verlag2004,S.119–131,hierS.130).
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Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Title
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Subtitle
- Briefe 1938-1945
- Author
- Christopher Dietz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 468
- Categories
- Weiteres Belletristik