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3.2 Briefe1939
Verfall. Ein bißchen langweilig – unberufen – wird mir schon die ganze
Geschichte.
Wir sind durch die raschen Märsche (in ungeheurem Staub) und
durch die Gefechte und sonstigen Anstrengungen mager wie die Sar-
dellengeworden,nehmennunaberwieder zu.Wir essenunglaublich
viel, und es ist nicht ganz klar, wohin das alles geht. En somme: eine
gewisse Ermüdung ist nicht abzuleugnen. Und es täte gut, sich erholen
zukönnen.Aber ich fürchte,derRückmarschwirdnichtallzuschnellvor
sich gehen. Es ist ja schlieĂźlich doch ein riesiger Apparat hier eingesetzt,
derumbewegt zuwerden,dieStraĂźenĂĽberlastet.
Die Infanterie ist wochenlang durch ganz Galizien gehatscht, was
nicht das reinste VergnĂĽgen gewesen sein kann. Auch die Pferde der
Kavallerie stichtderHabernichtmehrallzu sehr. |
Meine Hand ist schonviel besser. Ihr seht, ichkann schon ordentlich
schreiben. Ich fange nun auch an, etwas zu tun, was ich seit einem
Jahrzehnt nicht mehr getan habe: nämlich hin und wieder zu lesen.
BeidempolnischenLandjunker fandenwirdasNibelungenlied ineiner
leider sehr schlechten Ăśbersetzung, aber ĂĽberm Lesen erinnert man sich
an einzelne Zeilen des Originals, die sehr schön sind – Seltenheiten
indiesernichtganzgeglücktenSpätfassungältererundgroßartigerer
Gedichte. Jedenfalls ist es merkwürdig, dass auch die andern – nicht
nur ich – jetzt, in dieser Zeit, Verse eher lesen können als Prosa, dass
also,durchdiesenWirbel, daseigentlichDichterischewiederummehr
als bisher zu seinem Rechte kommt ... Das möge auch weiterhin so
bleiben.
Post habe ich, mit Ausnahme einer Nachricht vom 5. Spt., aus Ber-
lin noch keine bekommen. (Die Polen sollen irgend eine Postsendung
erwischthaben.Manhat sie ihnen|nur teilweisewiederabgeknöpft.)
Eine Zeit lang gab’s vorzügliche Alkoholien, Kirschen in Schnaps,
allerhand Bäckereien. Nun wird das alles rarer. Das ist schade, denn das
Essen ist ein schönerZeitvertreib.
Ich nehme an, dass sich das Bild des Hinterlandes nicht allzu sehr
verändert hat. Freilich: dies und das wird wohl stark eingeschränkt sein.
Aber ichmeine, es lässt sichexistieren. Summasummarum: dasGanze
istwohleinesehrgroĂźeAnstrengungdesStaates,und ichvermutenicht,
dass man sich im Westen, weder französischer- noch deutscherseits,
sonderlich in Bewegung setzen wird; so dass es also einen ein wenig
erholsamenWintergäbe.
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Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Title
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Subtitle
- Briefe 1938-1945
- Author
- Christopher Dietz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 468
- Categories
- Weiteres Belletristik