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allerdings um einen sehr ähnlichen Mechanismus: um die Messung populärer
Aktivitäten, die stufenweise nach verschiedenen von der Plattform festgelegten
Parametern wie Zeitrahmen, Kategorie und anderen eingegrenzt werden. Diese
Messungen werden nicht nur als reine Informationen, sondern als eine Auf-
forderung zurückgeleitet, das Produkt aufgrund seiner Beliebtheit zu bewerten.
Das Absatzranking ist freilich noch nicht alles. Wie die meisten Trending-
Algorithmen mildert oder vermeidet auch Amazon unangebrachte Inhalte.
Dies wurde durch einen als »Amazonfail« bekannt gewordenen Zwischenfall
offensichtlich, bei dem tausende Titel schwuler und lesbischer Belletristik
zeitweise ihren Verkaufsrang verloren, weil sie fälschlicherweise als »porno-
graphisch« klassifiziert wurden.6 Dieser Vorfall ist eine kleine aber wichtige
Erinnerung daran, dass Verkaufsrankings, wie andere Trending-Algorithmen
auch öffentliche Darstellungen von Popularität sind und nicht nur tabellari-
sche Aufstellungen von Transaktionen.
Wir sollten auch Navigationshilfen in diese Kategorie aufnehmen, die in
unserem Kontext auf den ersten Blick als nebensächlich erscheinen mögen,
sich jedoch ebenso als Einblicke in beliebte Aktivitäten lesen lassen. Man den-
ke an Googles Funktion der Autovervollständigung, mittels der die Websei-
te die Suchanfragen auf Grundlage der ersten eingetippten Buchstaben oder
Worte auf der Basis des Korpus vorhergegangener Suchanfragen vergleichend
antizipiert. Während der primäre Zweck der Autovervollständigung darin be-
steht, den Nutzer von der Notwendigkeit des Eintippens der restlichen Suchan-
frage zu befreien, stellen die Vorschläge der Autovervollständigungsfunktion
auch eine Art Maß für gängige und beliebte Aktivitäten dar (zumindest was die
Suche via Google betrifft).
Scheinbar sind wir überflutet von solchen algorithmischen Einblicken ins
Populäre, in kleine Barometer der öffentlichen Interessen und Beliebtheiten,
die auf der Basis plattform-spezifischer Aktivitäten generiert werden und die
uns dazu auffordern, diesen Trends Beachtung zu schenken und uns ihnen
anzuschließen.
Darüber hinaus ist das Wort ›trending‹ aus dem engeren Kontext von Twit-
ter und dessen Konkurrenten ausgebrochen und taucht mittlerweile querbeet
in kulturellen, journalistischen und Werbediskursen auf. ›Trending‹ ist eine
zunehmend weitverbreitete Trope in Werbetexten, Modestrecken, Nachrich-
tenmeldungen und sogar in akademischen Publikationen (Abb. 3.4).
Es soll nun nicht suggeriert werden, dass Werber und Nachrichtensendun-
gen niemals zuvor versucht hätten, unsere Aufmerksamkeit zu erregen, indem
6 | Avi Rappoport: »Amazonfail: How Metadata and Sex Broke the Amazon Book
Search«, in: Information Today. Inc., 20. April 2009. http://newsbreaks.infotoday.
com(NewsBreaks/Amazonfail-How-Metadata-and-Sex-Broke-the-Amazon-Book-Se
arch-53507.asp (zuletzt aufgerufen am 26. Mai 2015).
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik