Page - 132 - in Austrian Law Journal, Volume 1/2015
Image of the Page - 132 -
Text of the Page - 132 -
ALJ 1/2015 Gerhard Hafner 132
Verfassungsgesetzes über die Neutralität (1955) – zu ermöglichen. Diese Formulierung war ein
Kompromiss der politischen Parteien und sollte ausschlieĂźen, dass Regierungsmitglieder wegen
einer allfälligen Verletzung von § 320 StGB (Neutralitätsgefährdung) angeklagt werden können.
In den Jahren um und knapp nach der Jahrtausendwende wurde stärker die Solidarität betont
und innerstaatliche Vorsorge fĂĽr solidarische Aktionen getroffen, wie durch das KSE-BVG26 oder
das TrAufG27. Angesichts der Einbeziehung der Petersberg-Aufgaben28 in den Kompetenzkatalog
der Union setzte sich Österreich während seines Vorsitzes 1998 für die verstärkte Verbindung zur
Westeuropäischen Union (WEU) und die Vorbereitung der neuen Instrumente der GASP ein, so
etwa durch die Vorbereitung der Einrichtung der Strategieplanungs- und FrĂĽhwarneinheit, des
Hohen Vertreters für die GASP, von Grundsätzen und allgemeinen Leitlinien der GASP sowie –
bereits in Vorwegnahme des Amsterdamer Vertrages29 – der „Gemeinsamen Strategien“.
Während dieses österreichischen Vorsitzes einigten sich Großbritannien und Frankreich in der fran-
zösisch-britischen Erklärung von St. Malô30, wodurch der tatsächliche Ausbau eines glaubwürdigen
Potenzials der EU erst ermöglicht wurde. In diesem Zusammenhang veranstaltete Österreich eine
Art „Rat der Verteidigungsminister“, indem es die 15 Verteidigungsminister zu einem Treffen nach
Wien einlud und einen offiziellen politischen Dialog mit dem NATO-Generalsekretär begann.31
In Österreich entflammte im Zusammenhang mit dem Ausbau der EU zur Europäischen Sicher-
heits- und Verteidigungspolitik (ESVP; später Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik,
GSVP) die Diskussion um einen möglichen Beitritt zur NATO sowie um eine österreichische Sicher-
heits- und Verteidigungsdoktrin. Die im Jahre 2001 von der Bundesregierung angenommene
Doktrin32 bestätigt die Entwicklung von einer strikten Neutralität zur Solidarität sowie die öster-
reichische Unterstützung der dynamischen Entwicklung der GSVP. Gemäß diesem Dokument hat
Österreich seinen völkerrechtlichen Status der dauernden Neutralität nachhaltig verändert; sein
Status entspreche dem eines allianzfreien Staates. Gleichzeitig unterstreicht aber jenes Doku-
ment, dass Österreich in der Beschränkung oder sogar Aufhebung der Neutralität völkerrechtlich
frei ist. Diese Aussage steht jedoch im Gegensatz zu späteren Aussagen vom 14. und 15. Mai
2005, wonach maßgebliche österreichische Politiker Österreich noch immer als neutralen Staat
betrachten.33
Im Zuge der Ausarbeitung des Verfassungsvertrages und des LV wurde wieder die Frage nach der
Neutralität aufgeworfen; die traditionelle Meinungsdivergenz hinsichtlich der Stellung Öster-
reichs in der EU brach wieder durch, doch schlieĂźlich wurde mit der sogenannten irischen Klausel
in Art 42 Abs 7 EUV34 ein Freiraum geschaffen, der Österreich die Entscheidung überlässt, ob es
eine neutrale Position im Fall der Geltendmachung dieser kollektiven Selbstverteidigungsklausel
26 BGBl 1997/38.
27 BGBl I 2001/57.
28 Humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisen-
bewältigung einschließlich friedenschaffender Maßnahmen.
29 Vertrag von Amsterdam, ABl C 1997/340, 1.
30 Britisch-französische Erklärung von St. Malô, abrufbar unter: http://www.iss.europa.eu/uploads/media/cp047e.pdf
(abgefragt am 13. 3. 2015).
31 Federal Ministry for Foreign Affairs (Hrsg), Austrian Foreign Policy Yearbook (1998) 20.
32 Abrufbar unter: http://www.bka.gv.at/2004/4/4/doktrin_d.pdf (abgefragt am 13. 3. 2015).
33 Siehe die Rede von Bundeskanzler Wolfgang SchĂĽssel, abrufbar unter: http://www.oesterreich2005.at/DesktopDe-
fault.aspx?TabID=4506&Alias=jubilaeum2005&cob=11305 (abgefragt am 13. 3. 2015).
34 „Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits-und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten
unberührt.“
back to the
book Austrian Law Journal, Volume 1/2015"
Austrian Law Journal
Volume 1/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 188
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal