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ALJ 1/2015 Die DurchfĂĽhrung von Unionsrecht 145
Voraussetzung eines zwingenden Grundes, der den Ländern unverzüglich mitzuteilen ist, kaum
zu erfĂĽllen.6 So wurde beispielsweise in einem Fall darauf verwiesen, dass man bei Befolgung
einer negativen einheitlichen Länderstellungnahme einen Beschluss nicht hätte verhindern kön-
nen, da die notwendige qualifizierte Mehrheit im Rat schon vorlag und eine ablehnende Haltung
Österreichs als „unfreundlicher“ Akt gesehen worden wäre. Im jüngsten Fall, der mittlerweile
beschlossenen Richtlinie ĂĽber MaĂźnahmen zur Erleichterung der Rechte, die Arbeitnehmern im
Rahmen der FreizĂĽgigkeit zustehen7, wurden als GrĂĽnde zusammengefasst mitgeteilt, dass das
federführend zuständige Bundesministerium schlicht anderer Meinung sei, der Inhalt der Richtli-
nie teilweise ohnehin schon österreichische Rechtslage darstelle, die Richtlinie vor allem für die
Nachbarstaaten Österreichs wichtig sei und es daher dem „Grundsatz der guten Beziehungen“ zu
diesen widersprechen wĂĽrde, sich gegen diese Bestimmungen auszusprechen.
Derartige Abweichungen und damit verbundene BegrĂĽndungen sind die Ausnahme, wĂĽrden
jedoch bei regelmäßiger Anwendung und angesichts der begrenzten Justiziabilität8 des Art 23d
Abs 2 B-VG ein wesentliches Länderinstrument erheblich beeinträchtigen.
Die Durchführungspflicht der Länder gemäß Abs 5 ist selbstverständlich, die vorübergehende Devo-
lution einer Landeszuständigkeit an den Bund nach einer Feststellung durch den Gerichtshof der
EU wird bislang praktisch nicht wahrgenommen. Auch wenn mittlerweile schon zahlreiche mögliche
Anwendungsfälle von Verurteilungen im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren, die auf Hand-
lungen oder Unterlassungen von Ländern zurückzuführen waren, vorlagen, steht außer Frage, dass
das betreffende Land/die betreffenden Länder selbst umgehend tätig wird/werden. Lediglich in
einem Fall machte der Bund bisher von dieser Zuständigkeit Gebrauch und erließ eine Verordnung
auf Grundlage des Kärntner Bedienstetenschutzgesetzes; dies war notwendig, da das Land Kärnten
die Richtlinie als bewusste politische Entscheidung nicht umsetzte.9
III. Umsetzung von Richtlinien
A. Richtlinienumsetzung in einem föderalen Rahmen
1. Faktor 10 als Hindernis?
Als föderaler Staat mit 10 Gesetzgebern hat Österreich eine andere Situation als Staaten ohne
regionale Gesetzgebungszuständigkeiten. Das ist der oft zitierte „Faktor 10“ in der Umsetzung
von Unionsrecht.10
6 Den Materialien folgend liegen zwingende Gründe vor, wenn dies „zur Wahrnehmung wichtiger österreichischer
Interessen in der Europäischen Union unabweisbar ist“.
7 RL 2014/54/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 4. 2014 über Maßnahmen zur Erleichterung
der AusĂĽbung der Rechte, die Arbeitnehmern im Rahmen der FreizĂĽgigkeit zustehen, ABl L 128 vom 30. 4. 2014.
8 Die im B-VG dafür vorgesehene „Ministeranklage“ gem Art 142 Abs 2 lit c B-VG nach einem gleichlautenden
Beschluss aller Landtage ist wohl praktisch nicht denkbar; wahrscheinlicher wäre hingegen ein Feststellungsan-
trag eines Landes gem Art 138 B-VG, da die Bindungswirkung der einheitlichen Länderstellungnahmen auch in
der Art 15a-Vereinbarung von 1992 enthalten ist.
9 Vgl dazu Okresek, Die Durchsetzung von Verpflichtungen aus EMRK und Gemeinschaftsrecht vor europäischen
Gerichten – dargestellt anhand von zwei Beispielen, in Rosner/Bußjäger (Hrsg), FS 60 Jahre Verbindungsstelle der
Bundesländer (2011) 511 (517 ff); Novak, Richtlinienumsetzung aus der Froschperspektive. Zur Umsetzung von
Richtlinien im Landesbereich, in Abteilung 2V – Verfassungsdienst, Amt der Kärntner Landesregierung (Hrsg), Landes-
gesetzgebung – Beruf und Berufung, FS Havranek (2007) 160 (172).
10 Dieser Argumentationstopos scheint auf die Wirtschaftskammer Österreich zurückzugehen; vgl dazu Bußjä-
ger/Bär/Willi, Kooperativer Föderalismus im Kontext der Europäischen Integration (2006) 44.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 188
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal