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ALJ 1/2015 Die DurchfĂĽhrung von Unionsrecht 147
2. Feststellung der innerstaatlichen Zuständigkeit
Die Richtlinien, die aktuell Gegenstand von Vertragsverletzungsverfahren sind und die auch die
Länder betreffen, sind jedoch tatsächlich solche, anhand derer sich die besondere Herausforde-
rung der Richtlinienumsetzung in einem Bundesstaat illustrieren lässt – die Frage der innerstaat-
lichen Zuständigkeit.
Das ist bei zahlreichen Richtlinien kein großes Problem und eindeutig, mitunter aber auch höchst
komplex.16 Zentral ist die „doppelte Inkongruenz“17 der Kompetenzverteilung mit den Erforder-
nissen einer Richtlinienumsetzung. Einerseits inkongruent vertikal (eine Richtlinie kann sowohl
Bundes- als auch Landeszuständigkeiten erfassen), andererseits horizontal (eine Richtlinie kann
auch innerhalb einer Gebietskörperschaft gänzlich unterschiedliche Kompetenzen betreffen).
Diese doppelte Inkongruenz führt erstens zu Verzögerungen, bedingt durch Unklarheiten wer
nun zuständig ist. Mitunter muss erst der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts mit einem
Gutachten die Frage lösen.18
Andererseits kann es aber sowohl durch den Einbau von verfassungsrechtlichen Kompetenzde-
ckungsklauseln19 als auch durch vereinzelt vorkommende weite Auslegungen von Kompetenzre-
geln des B-VG bzw ebenso großzügig ausgelegte Sekundärrechtsbestimmungen20 zu einer Zent-
ralisierung von Richtlinieninhalten kommen. Eine grundsätzliche Kompetenzverschiebung – über
Kompetenzdeckungsklauseln im Einzelfall, wenn dies sachlich gerechtfertigt ist, hinaus – findet
bei den Ländern jedoch, einem Beschluss der Landeshauptleutekonferenz von 1996 folgend,
kaum Zustimmung. Diesem zufolge stimmen die Länder außerhalb der Bundesstaatsreform
keiner Verfassungsänderung zulasten der Länder zu.21
Ein besonders markantes Beispiel, wenn auch mit einem ungewöhnlichen Ausgang, für einen
zweckmäßigen Umgang mit der Kompetenzfrage war die Umsetzung der Dienstleistungsrichtli-
nie22 in Österreich. Die Richtlinie umfasst zahlreiche Gegenstände auf Bundes- und auf Landes-
ebene und beinhaltet einen nicht unbeträchtlichen Teil an horizontalen Regelungen, wie Verfah-
ren ĂĽber den einheitlichen Ansprechpartner, Verwaltungszusammenarbeit, Regelungen ĂĽber
elektronische Verfahrensabwicklung etc.
Die Landesamtsdirektorenkonferenz sowie die Landeshauptleutekonferenz haben frĂĽhzeitig
beschlossen, dass diese „horizontalen“ Elemente in einem zwischen Bund und Ländern akkor-
16 Typische Beispiele sind etwa das Planungsrecht, das Energierecht oder das Anlagenrecht; vgl dazu etwa Hörmans-
eder, Probleme der EG-Richtlinienumsetzung aus Ländersicht, in Kärntner Verwaltungsakademie (Hrsg), Bildungs- pro-
tokolle – Klagenfurter Legistik-Gespräche 2006 (2007) 133 (137 ff).
17 Vgl Ranacher, Die Funktion des Bundes bei der Umsetzung des Rechts durch die Länder (2002) 208 ff.
18 So beispielsweise unlängst und vor dem Hintergrund eines laufenden Vertragsverletzungsverfahrens zur Umset-
zungszuständigkeit der Art 12, 17 und 18 der Richtlinie 2010/31/EU über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden.
19 Vgl etwa die aktuelle Diskussion zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Bundesgesetz ĂĽber die Schaf-
fung einer transeuropäischen Energieinfrastruktur erlassen und das Gaswirtschaftsgesetz 2011 geändert wird im
Zusammenhang mit der VO (EU) 347/2013.
20 Typische Beispiele wären die Bereiche Tierzucht/Tierkennzeichnung, die Umsetzung der Antidiskriminierungs-
richtlinien oder verschiedene Richtlinien im Bereich Elektrizitätswirtschaft; vgl für Beispiele auch die Auflistung
bei Ranacher, Durchführung von EU-Recht (insbesondere Gemeinschaftsrecht) durch die Länder und Ersatzvor-
nahme des Bundes, in Hummer/Obwexer (Hrsg), 10 Jahre EU-Mitgliedschaft Ă–sterreichs (2006) 256 (267).
21 Darauf wurde kürzlich als Antwort der Länder auf eine Anfrage des Bundes Bezug genommen, ob ein Wechsel
des Landarbeitsrechts von Art 12 B-VG zu Art 11 B-VG denkbar sei.
22 RL 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2006 über Dienstleistungen im Bin-
nenmarkt, ABl L 376 vom 27. 12. 2006.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 188
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal