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ALJ 1/2016 Ermessen im starkstromwegerechtlichen Bau- und Betriebsbewilligungsverfahren 52
Qualität bei der technischen Stromverteilung auf die Verbraucherkosten auswirken kann und
umgekehrt.73 Aber gerade weil die Langfristigkeit der Energieinfrastrukturplanung74 der Behörde
bei der Beurteilung des öffentlichen Versorgungsinteresses auch abverlangt, ausgehend von der
gegenwärtigen Versorgungsstruktur eine Energiebedarfsprognose anzustellen75 – etwa, um das
Entstehen versorgungsgefährdender Parallelstrukturen76 oder die Realisierung von Projektvor-
haben, die sich aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht rentieren würden und daher eine preiswerte
Stromversorgung nicht gewährleisten können, hintanzuhalten77 –, braucht es im Starkstromwe-
gerecht schon aus sachlichen Gründen gesetzlich angelegte Vollzugsspielräume der Starkstrom-
wegerechtsbehörde, die, überspitzt formuliert, verhindern, dass der Rechtsstaat mittels über-
schießender Vorherbestimmung des Verwaltungshandelns am Ende „seine eigene Stilllegung
[provoziert]“78. Als Zwischenergebnis steht jedenfalls fest, dass die Erteilung einer Bau- und Be-
triebsbewilligung von elektrischen Leitungsanlagen für Starkstrom in einem ersten Schritt davon
abhängt, ob das eingereichte Projekt einen positiven Beitrag für das öffentliche Versorgungsin-
teresse zu leisten vermag,79 – zumindest nach Erteilung entsprechender Auflagen.80 Ob dies der
Fall ist, hat die Behörde anhand einer komplexen Abwägung festzustellen, in der nicht zuletzt
auch Entwicklungstendenzen technischer und (volks-)wirtschaftlicher Art verarbeitet werden
müssen.81
B. Schritt 2: Interessensabwägung auf Ebene des Individualrechtsschutzes
Steht ein positiver Beitrag des zur Bewilligung eingereichten Projektvorhabens zum öffentlichen
Versorgungsinteresse außer Streit, hat die Behörde, bevor eine Genehmigung erteilt werden
kann, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob das öffentliche Versorgungsinteresse mit subjektiv-
öffentlichen Interessen der Verfahrensparteien konfligiert. Etwa, weil ein betroffener Grundei-
gentümer oder ein sonstiger dinglich Berechtigter im Rahmen des Ermittlungsverfahrens recht-
zeitig eingewandt hat, dass sich eine Leitungstrasse anbieten würde, die weniger stark in sein
verfassungsgesetzlich geschütztes Eigentumsrecht eingreift,82 oder schlimmer: das für ihn von
der Leitungstrasse beträchtliche Gesundheitsgefährdungen ausgehen.83 Damit ist (noch) nicht die
73 IdS Neubauer/Onz/Mendel, Starkstromwegerecht § 7 StWG Rz 33.
74 Fischerhof, Energiewirtschaftsrecht und Wirtschaftslenkung, in Mayer-Maly (Hrsg), Energiewirtschaft und Recht
(1973) 93 (100).
75 Neubauer/Onz/Mendel, Starkstromwegerecht § 7 StWG Rz 41; vgl in diesem Zusammenhang aus der deutschen
Literatur Hermes in J. Schneider/Theobald § 7 Rz 3: „Den Ausgangspunkt für die planungsrechtliche Bewältigung
dieser Herausforderungen bildet zunächst die Prognose, dass für eine Energieanlage ein Bedarf besteht. Gegen-
stand dieser fachlichen Bedarfsplanung ist also in erster Linie eine Prognose des Bedarfs neuer Erzeugungs- und
Transportkapazitäten.“
76 Neubauer/Onz/Mendel, Starkstromwegerecht § 7 StWG Rz 39.
77 Neubauer/Onz/Mendel, Starkstromwegerecht § 7 StWG Rz 35.
78 Eichenberger, Gesetzgebung im Rechtsstaat, VVDStRL 40 (1982) 7 (19).
79 VfGH 6. 6. 2005, B 509/05; VwGH 21. 5. 1959, 1019/1020/56, 4. 3. 2008, 2005/05/0281; Neubauer/Onz/Mendel,
Starkstromwegerecht § 7 StWG Rz 22.
80 § 7 Abs 1 Satz 2 StWG 1968.
81 Vgl auch Fischerhof in Mayer-Maly 100.
82 Während des Ermittlungsverfahrens kann der betroffene Grundeigentümer einwenden, dass kein öffentliches
Interesse daran bestünde, die elektrische Leitungsanlage für Starkstrom gerade in der sein Grundstück berüh-
renden Art (VfGH 6. 6. 2005, B 509/05; VwSlg 15.396 A/2000; 15.458 A/2000) oder in der vorgesehenen Weise auszu-
führen (VwSlg 13.237 A/1990; VwGH 17. 9. 1991, 91/05/0077; 23. 4. 1996, 94/05/0021; 15. 10. 1996, 95/05/0139).
Siehe dazu A. Hauer in ders/Nußbaumer 307 (mwN zur Judikatur); Neubauer/Onz/Mendel, Starkstromwegerecht § 7
StWG Rz 91 ff.
83 VwGH 26. 4. 2000, 96/05/0048; 14. 11. 2006, 2006/05/0171; VwSlg 17394 A/2008. Keine Rücksicht zu nehmen ist aber
im starkstromwegerechtlichen Bewilligungsverfahren auf Fragen des Lärmschutzes (VwGH 23. 2. 1988, 87/05/0182).
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Austrian Law Journal
Volume 1/2016
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2016
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 110
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal