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ALJ 2018 „Negativzinsen“ – Bestandsaufnahme und weitere offene Fragen 46
Die Höhe der „Prämie“ für die Untergrenze und der „Gebühr“ für die Obergrenze hängt von der
Eintrittswahrscheinlichkeit einer Zinsänderung nach unten oder oben hin ab. Bei rein arithmeti-
scher Festsetzung der Unter- und Obergrenze könnten die „Prämie“ und die „Gebühr“ einen ganz
unterschiedlichen (Markt-)Wert haben. Die Zweiseitigkeit der Zinsgleitklausel wäre dann eine rein
formale. Materiell könnte je nach Marktlage entweder der Kreditgeber oder der Kreditnehmer
begĂĽnstigt sein.
Insoweit kommt dem Vorschlag, die Unter- und Obergrenze des Sollzinssatzes nach der „Bar-
wertmethode“ zu bestimmen, durchaus Berechtigung zu. Es erscheint prima vista überzeugen-
der, auf die objektive Äquivalenz von „Prämie“ und „Gebühr“ für „Zinsfloor“ und „-cap“ abzustel-
len. Die von § 6 Abs 1 Z 5 KSchG geforderte Symmetrie bezieht sich dann auf den jeweiligen
„Barwert“ der Unter- und Obergrenze und nicht auf die prozentual bemessene Unter- und Ober-
grenze selbst.
Als problematisch könnte sich erweisen, dass die für die Bestimmung des „Barwerts“ erforderli-
che „Wahrscheinlichkeitseinschätzung“ künftiger Zinsänderungen dem Unternehmer obliegt, in
den hier behandelten Fällen also dem Kreditgeber. Soweit diesem ein Ermessensspielraum bei der
Festlegung der Unter- und Obergrenze zukommt, droht mE ein Verstoß gegen § 6 Abs 1 Z 5
KSchG. Die Begrenzung des Zinssatzes nach unten oder oben hin nimmt nämlich mittelbar Ein-
fluss auf die zukünftigen Möglichkeiten einer Entgeltsänderung. G. Graf151 hat bereits vor längerer
Zeit ganz zutreffend aufgezeigt, dass ein Ermessensspielraum des Unternehmers bei der nach-
träglichen Änderung des vom Verbraucher zu leistenden Entgelts mit dem Symmetriegebot nicht
vereinbar ist.
Wollte man dieser Auffassung nicht folgen, fragt es sich, welche Konsequenzen mit einer man-
gelhaften Anwendung der „Barwertmethode“ zulasten des Verbraucherkreditnehmers verbun-
den wären. In einem Zivilprozess über die Gesetzeskonformität der Zinsgleitklausel mit vertrag-
lich festgelegter Unter- und Obergrenze wäre wohl die Aufnahme eines Sachverständigenbeweises
unvermeidbar. Der vom Gericht bestellte Sachverständige hätte zu ermitteln, ob der „Barwert“
der „Prämie“ für die Untergrenze und der „Gebühr“ für die Obergrenze tatsächlich objektiv äqui-
valent ist. Ist dies nicht der Fall, fĂĽhrte dies zur Nichtigkeit der Zinsgleitklausel wegen eines Ver-
stoßes gegen das Symmetriegebot des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG. Die ursprüngliche Zinsgleitklausel
mĂĽsste durch eine hypothetische ersetzt werden. Die Unter- und Obergrenze bestimmte sich
dann wohl anhand der vom beigezogenen gerichtlichen Sachverständigen bestimmten objektiv
äquivalenten „Barwerte“.
D. VerstoĂź gegen (gesetzliche) Informationspflichten?
1. Verbraucherkredite
Hielte man es entgegen der zutreffenden Judikatur152 für zulässig, einen Mindestsollzinssatz ohne
Zinsobergrenze vereinbaren zu können, drängt sich die Frage auf, ob der Kreditgeber in diesem
Fall nicht gegen seine vorvertraglichen Informationspflichten gegenĂĽber Verbraucherkreditneh-
mern verstoßen hätte (vgl § 6 Abs 5 VKrG und § 8 Abs 6 HIKrG), wenn er diesen einen variabel
151 Wbl 2005, 203 f unter Berufung auf Schimansky, WM 2003, 1451.
152 OGH 4 Ob 60/17b = Ă–BA 2017, 422 (krit B. Koch); OGH 8 Ob 101/16k = ZFR 2017, 393; OGH 8 Ob 107/16t = ZFR 2017,
556 (Ruhm); OGH 4 Ob 107/17i = VbR 2017, 174; OGH 6 Ob 51/17v = Ă–BA 2017, 867.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2018
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2018
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 68
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal