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ALJ 2018 „Negativzinsen“ – Bestandsaufnahme und weitere offene Fragen 56
erhaltende Reduktion vorgebrachte Präventionsgedanke in vollem Umfang;223 die betroffene
Vertragsklausel wäre als nichtig anzusehen und die dadurch entstandene Lücke durch dispositi-
ves Gesetzesrecht oder allenfalls mittels ergänzender Vertragsauslegung zu schließen.224 Anders
verhält sich dies bei einem Klauselaufsteller, der die von ihm vorgesehene Regelung redlicher-
weise für inhaltlich zulässig halten durfte. Für diesen Fall hat Canaris225 zutreffend gezeigt, dass
das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine Einschränkung der an sich berechtigten Präventionserwä-
gungen verlangt.226 Die vom Sittenwidrigkeitsurteil betroffene oder als gröblich benachteiligend
erkannte Klausel ist zwar an sich unwirksam, kann allerdings auf einen angemessenen Umfang
reduziert werden; mangels vollständigem Wegfall der Klausel entsteht zu keinem Zeitpunkt eine
VertragslĂĽcke.227
VIII. Zusammenfassung der wesentlichsten Ergebnisse
1. Die Vertragspartner sind sich in aller Regel darüber einig, einen „Kreditvertrag“ zu schließen,
der dem gesetzlichen Typus (§ 988 ABGB) entspricht. Es liegt ein „natürlicher Konsens“ darüber
vor, dass eine bestimmte Summe an Geld gegen Entgelt (in Form von Zinsen und weiteren VergĂĽ-
tungen) fĂĽr einen gewissen Zeitraum ĂĽberlassen werden soll. Innerhalb des von den Parteien
vorgesehenen Regelungsplans findet sich somit kein Platz für „Negativzinsen“.
2. Das Fehlen einer Unter- und Obergrenze in einer Zinsgleitklausel spricht mE eindeutig dafĂĽr,
dass die Vertragspartner den Sollzinssatz prinzipiell uneingeschränkt von der zukünftigen Ent-
wicklung des Referenzzinssatzes abhängig machen wollten. Da die (langfristige) Entwicklung des
Referenzzinssatzes fĂĽr die Parteien weitestgehend unvorhersehbar ist, nehmen sie zukĂĽnftige
Zinsschwankungen bewusst in Kauf.
3. MĂĽsste der Kreditnehmer in jedem Fall zumindest den Aufschlag als Mindestsollzinssatz be-
zahlen, könnte es uU zu einer nahezu vollständigen Verlagerung des „Zinsänderungsrisikos“ auf
den Kreditnehmer kommen. Ein redlicher Kreditgeber dĂĽrfte aber gewiss nicht einfach davon
ausgehen, dass sein Gegenüber ohne Weiteres dazu bereit wäre. Vielmehr wird ihm typischer-
weise klar sein, dass der Kreditnehmer mit einer ausgewogenen Verteilung von Chancen und
Risiken rechnet (normative Auslegung).
4. Die Überlegungen zur Vertragsauslegung gelten unverändert auch bei einer Kreditvergabe an
Unternehmer oder die „öffentliche Hand“.
5. Bei Verbraucherkrediten gilt es zusätzlich § 6 Abs 1 Z 5 KSchG zu beachten. Da sich § 6 Abs 1
Z 5 KSchG vom Wortlaut her ausschlieĂźlich auf das vom Verbraucher(-kreditnehmer) zu leistende
Entgelt bezieht, erscheint es von vornherein fraglich, ob sich aus dieser Bestimmung eine Pflicht
des Kreditgebers zur Zahlung von „Negativzinsen“ ableiten lässt. Dagegen spricht vor allem, dass
§ 6 Abs 1 Z 5 KSchG primär darauf abzielt, das ursprüngliche Äquivalenzverhältnis von Leistung
und Gegenleistung zu wahren. Fällt entweder die Leistung oder – wie in den hier interessieren-
223 Koziol – Welser/Kletečka, BR I14 Rz 569; Riedler in Schwimann/Kodek IV4 § 879 Rz 55; Basedow in MüKoBGB II7 § 306
BGB Rz 13.
224 ZB Bollenberger in KBB5 § 879 Rz 30.
225 In FS Steindorff 557 ff.
226 Ebenso Koziol – Welser/Kletečka, BR I14 Rz 569; Riedler in Schwimann/Kodek IV4 § 879 Rz 55; Basedow in MüKoBGB II7
§ 306 BGB Rz 13; Schlosser in Staudinger, BGB § 306 BGB Rz 24; ähnlich Faust in NK-BGB I3 § 139 Rz 34. AA Fitz in
FS Schnorr 651.
227 Vgl Basedow in MüKoBGB II7 § 306 Rz 13.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2018
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2018
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 68
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal