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ALJ 2018 Technokratie und Posttechnokratie 64
jekte wird dabei in Richtung Differenz aufgelöst. Gut etablierte besondere IdentitĂ€ten dĂŒrfen auf
Respekt und Schutz zĂ€hlen, fĂŒr andere bleibt die Hoffnung auf Inklusion. Eine Ăberwindung die-
ser IdentitÀten hin zu einer neuen gemeinsamen ist jedoch nicht vorgesehen. Denn sie findet
typischerweise weder beim Deliberieren in einem Expertengremium noch bei Vertragsverhand-
lungen statt.
4. HeterogenitÀt
Die Technokratie ist ideologisch neutraler als die Posttechnokratie. Das heiĂt, sie ist mit einer
gröĂeren Zahl politischer Ideologien und Theorien vereinbar, tatsĂ€chlich mit allen, die der demo-
kratisch-kollektiven Entscheidungsfindung und der öffentlichen Deliberation keinen hohen Stel-
lenwert einrÀumen oder zumindest Ausnahmen davon vorsehen. Das können sozialistische,
liberale, feministische, nationalistische, konservative, weltliche oder stark religiös geprÀgte Kon-
zeptionen der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls sein, wenn sie sich nur in einigermaĂen prĂ€zise
politische Programme ĂŒbersetzen lassen. Diese MultikompatibilitĂ€t ist freilich nicht zu verwech-
seln mit PluralitÀtskompatibilitÀt. Technokratie ist auf relativ klare ideologische Hegemonie an-
gewiesen. âExpertiseâ muss schlieĂlich als solche und in ihrer sozialen Relevanz erkannt und
anerkannt sein. Zumindest muss ĂŒber die Kriterien, die jemand erfĂŒllen muss, um als âExperteâ
gelten zu können, in Politik und Wissenschaft weithin Einigkeit bestehen. Oder besser: AuĂerhalb
der Wissenschaft muss der Eindruck von Konsens innerhalb der Wissenschaft vorherrschen. Man
denke an den lange Zeit bestehenden quasi sozialdemokratisch-keynesianischen Konsens in der
Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik.
Bei der Posttechnokratie verhÀlt es sich umgekehrt. Sie ist auf eine gewisse, freilich oberflÀchli-
che Weise pluralitÀtskompatibler. Ihre Rhetorik ist jedenfalls eine der DiversitÀt. Zugleich aber
verfĂŒgt sie ĂŒber einen stĂ€rker ausgeprĂ€gten ideologischen Bias. Die Posttechnokratie steht in
einem eindeutigen NaheverhÀltnis zu einer bestimmten Version des Liberalismus, nÀmlich einer,
in der die öffentliche oder kollektive Dimension der Freiheit weitgehend ausgeblendet wird oder
wenigstens in den Hintergrund rĂŒckt. Wie schon gesagt, ist in ihr kollektives Handeln jenseits des
gemeinsamen Deliberierens innerhalb fluider Anspruchsgruppen (âstakeholdersâ), mithin kollekti-
ves Entscheiden unter Einschluss derer, die nicht ĂŒber die hinreichend direkt einschlĂ€gigen Inte-
ressen oder Expertisen verfĂŒgen bzw zur maĂgeblichen âepistemic communityâ zĂ€hlen, grundsĂ€tz-
lich nicht vorgesehen. Damit reflektiert sie genau jene Skepsis gegenĂŒber allen Konzeptionen der
Gerechtigkeit, des Gemeinwohls und der Demokratie, durch die sich gerade neoliberale Sozial-
theorien auszeichnen.21 Als âdefault optionâ der sozialen Koordination gilt der Marktmechanis-
mus. Ăberhaupt und in der Tat wird dieser, wo es nur irgend möglich ist, wenigstens simuliert.
Beispiele dafĂŒr wĂ€ren die Mittelzuweisung im Wissenschaftsbetrieb nach kompetitiven Verfah-
ren, was seinerseits den Selbstvermarktungsaufwand der Betroffenen signifikant erhöht und
Solidarisierung erschwert, und das âbenchmarkingâ als Bestandteil der Budgetverteilung nicht nur
im universitÀren Bereich, sondern ebenso im Gesundheitssystem und bisweilen sogar in den
Kernbereichen der Hoheitsverwaltung, etwa bei der Polizei.22 Die âalteâ Technokratie dagegen
teilt zwar mit der Posttechnokratie wie immer gut oder schlecht begrĂŒndete und oft auf be-
21 Siehe insbesondere Hayek, Die Verfassung der Freiheit (1991); Buchanan/Tullock, The Calculus of Consent. Logical
Foundations of Constitutional Democracy (1999).
22 Siehe Crouch, The Knowledge Corrupters. Hidden Consequences of the Financial Takeover of Public Life (2016).
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Austrian Law Journal
Volume 1/2018
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2018
- Author
- Karl-Franzens-UniversitÀt Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 68
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal