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ALJ 2019 Moritz Zoppel 30
§ 56 StVO blieben hingegen sanktionslos. Zu einer potentiellen Haftung der Ärztin bedurfte es kei-
ner weiteren Erwägungen, da es keine reale Handlung gab, die man hätte beurteilen können.
C. Zwischenergebnis
Die beschriebenen Konstellationen der hypothetischen Kausalität stehen dem Grunde nach vor
einem verwandten Problem. Um keine Wertungswidersprüche zu schaffen, sollten sich Lösungs-
vorschläge daher entlang derselben Linien orientieren, ohne aber die bestehenden Unterschiede
zu ignorieren.83
Die überholende Kausalität knüpft an einen spezifischen Ablauf an, wohingegen die Kausalität der
Unterlassung einen Standardfall lösen muss. Zudem unterscheidet sich die Qualität der getroffe-
nen Annahmen. Bei der überholenden Kausalität steht die Relevanz eines realen Verhaltens eines
Dritten zur Diskussion. Damit stellt sich notwendigerweise die Frage nach dem Umgang mit der
Handlung des Dritten in der Kausalitätsprüfung. Umstritten ist allenfalls, ob es zu einer solidari-
schen Haftung zwischen dem realen Schädiger und einem konkret gefährlich handelnden hypo-
thetischen Dritten kommen soll. Zur völligen Entlastung des ersten Schädigers durch den hypothe-
tischen Schädiger soll es hingegen nicht kommen.84
Eine weiter gefasste Hypothese muss bei der Kausalitätsprüfung der Unterlassung gebildet wer-
den. Es wird gefragt, ob der Schaden bei fiktiver Einhaltung des gebotenen Pflichtenprogrammes
ausgeblieben wäre. Kann dies verneint werden, entfällt die Haftung des Schädigers. Aus der Per-
spektive des Geschädigten macht dieser Umstand jedoch einen entscheidenden Unterschied im
Vergleich zu Fällen der überholenden Kausalität. Bei der überholenden Kausalität wird diskutiert,
ob ein weiterer Haftpflichtiger dazu kommen soll, während es bei der Prüfung der Kausalität der
Unterlassung um den gänzlichen Entfall der Haftung geht. Die Reichweite der hinzugedachten
Handlungsstränge ist bei der Kausalitätsprüfung einer Unterlassung, das zeigt der Blick auf die
Rechtsprechung85, nichtsdestotrotz kaum eingeschränkt. Selbst das hypothetische Verhalten eines
Dritten als Reaktion auf das ebenso erdachte Verhalten des Schädigers kann zur Haftungsbefrei-
ung des realen Schädigers führen.
V. Entlastungswirkung durch die hypothetische Verantwortung eines
Dritten
Um einer Ausuferung der Entlastungswirkung bei der Kausalität der Unterlassung entgegenzuwir-
ken, wird zunächst ein Vorschlag zur Einschränkung der Prüfungshypothese gemacht. Anschlie-
ßend soll eine Wertungsharmonie zum verwandten Problem der überholenden Kausalität herge-
stellt werden. Letztlich wird das Ergebnis aus rechtsvergleichender Perspektive abgesichert.
83 Zur „Parallelität“ der Wertungen siehe III.C; dazu grundlegend Koziol, Grundfragen des Schadenersatzrechts 5/125
f; 7/29 f; ders in FS Deutsch 179; Gebauer, Hypothetische Kausalität 221 ff; Riss, JBl 2004, 430 ff; Niederländer, JZ
1959, 618; kritisch Reischauer in Rummel, ABGB3 §1302 Rz 14a.
84 Vgl statt vieler Gebauer, Hypothetische Kausalität 221 ff.
85 OGH 26.6.2017, 2 Ob 117/16v = EvBl 2017/155 (Zoppel).
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Austrian Law Journal
Volume 1/2019
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2019
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 126
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal