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ALJ 2019 Entlastungswirkung der hypothetischen KausalitÀt 33
möglichkeiten grundsÀtzlich unterschiedlich zu behandeln und heterogene Ergebnisse zu riskie-
ren. In beiden FĂ€llen der KausalitĂ€tsprĂŒfung soll letztlich allgemein ermittelt werden, ob ein be-
stimmter Schaden einer bestimmten Person zugerechnet werden kann.97 Es besteht somit eine
wertungsmĂ€Ăige Einheit zwischen der KausalitĂ€tsprĂŒfung nach der Conditio sine qua non Formel
bei einer Handlung und jener bei einer Unterlassung.98
Die EinschrĂ€nkungen, die bei der KausalitĂ€tsprĂŒfung einer Handlung getroffen werden, mĂŒssten
folglich auch bei einer Unterlassung gelten. Nur die pflichtgemĂ€Ăe Handlung des SchĂ€digers ist
hinzuzudenken. Reaktionen Dritter darauf â aber jedenfalls Handlungen, die zu einer fiktiven Scha-
denersatzpflicht von Dritten gefĂŒhrt hĂ€tten â sollten keine BerĂŒcksichtigung mehr finden. Zu beto-
nen ist erneut, dass die vorgeschlagene EinschrÀnkung unter keinen UmstÀnden isoliert vom
Zweck der ĂŒbertretenen Norm vorgenommen werden darf.99
B. Wertungseinheit der hypothetischen KausalitÀt
UnabhĂ€ngig davon, welcher Lösung zum Problem der ĂŒberholenden KausalitĂ€t man sich letzten
Endes anschlieĂt, besteht Einigkeit darĂŒber, dass der reale SchĂ€diger nicht unter Berufung auf die
Verantwortlichkeit eines hypothetischen SchÀdigers von seiner Haftung befreit wird.100 Die Judika-
tur und ein Teil der Lehre gehen sogar von einer gÀnzlichen Irrelevanz von hypothetischen Ereig-
nissen aus. Nach dieser Ansicht kann das Verhalten von hypothetischen Dritten schon grundsÀtz-
lich keine Haftungsentlastung herbeifĂŒhren.101 Dieser Grundgedanke ist mit der oben angeregten
EinschrÀnkung der Hypothese ohne weiteres vereinbar.
Am intensivsten berĂŒcksichtigt wird das Verhalten des hypothetischen SchĂ€digers in den Lösungs-
ansĂ€tzen von F. Bydlinski und Koziol zur ĂŒberholenden KausalitĂ€t und dem rechtmĂ€Ăigen Alterna-
tivverhalten. Nach F. Bydlinski und Koziol soll es, wenn das Rechtsgut nicht völlig zerstört wurde,
unter engen Voraussetzungen zu einer solidarischen Haftung des realen mit dem hypothetischen
TÀter kommen.102 Bezieht man diese Ansicht auf die KausalitÀt bei der Unterlassung im Zusam-
menhang mit dem Verhalten fiktiver Dritter, kann es vernĂŒnftigerweise nicht zu einer solidarischen
Haftung des erdachten Dritten mit dem realen SchĂ€diger kommen. FĂŒr ein rein erdachtes Verhal-
97 Koziol, HPR I3Rz 3/14; Larenz, UrsÀchlichkeit der Unterlassung, NJW 1953, 686.
98 Deutsch, Haftungsrecht/I 173 ff geht daher davon aus, dass die Unterlassung, sofern eine Pflicht zum Handeln
bestanden hat, dem aktiven Tun gleichzustellen ist; vgl Larenz, Schuldrecht I14 455 f; Hart/Honoré, Causation in
Law2 26, 37 f; Riss, JBl 2004, 423.
99 Es lassen sich FĂ€lle bilden, in denen der Zweck der Norm unter UmstĂ€nden dazu fĂŒhren kann, dass das Verhalten
von Dritten durchaus eine Rolle spielen kann: So etwa bei AnsprĂŒchen gegen den Staat wegen mangelnder Gefah-
renabwehr durch Beaufsichtigung oder Information; freilich neben den AnsprĂŒchen gegen den unmittelbaren
SchĂ€diger. Siehe grundlegend Rebhahn, Staatshaftung 650 ff, der sich dafĂŒr ausspricht, dass der Staat bei prĂ€ven-
tiver Aufsicht jedenfalls einwenden könne, dass selbst bei rechtmĂ€Ăigem Handeln der Behörde und des Adressa-
ten der Schaden eingetreten wÀre, weil der Adressat (der unmittelbare SchÀdiger) die Anweisungen nicht schnell
genug umsetzen hĂ€tte können. Aber auch wenn klar ist, dass der Adressat auf die AufsichtsmaĂnahmen nicht
reagiert hÀtte, will Rebhahn den entlastenden Einwand der Behörde unter UmstÀnden zulassen. EingerÀumt wird
aber zu Recht, dass diese Fragen vom Inhalt und Zweck der Aufsichtspflicht determiniert werden; aA zur ZulÀssig-
keit des entlastenden Einwands Apathy, Haftungsfolgen fehlerhafter Staatsaufsicht in Aicher, Die Haftung fĂŒr
staatliche Fehlleistungen im Wirtschaftsleben Haftungsfolgen (1988) 207 (226); vgl des Weiteren zur Vermutung
des aufklÀrungsrichtigen Verhaltens Canaris in FS Hadding 3.
100 Vgl Schacherreiter in KleteÄka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 1302 Rz 52.
101 RIS-Justiz RS0022653; vgl etwa Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1302 Rz Rz 14.
102 F. Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung 74 f; ders, System und Prinzipien des Privatrechts 192; Koziol,
HPR I3Rz 3/67ff.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2019
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2019
- Author
- Karl-Franzens-UniversitÀt Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 126
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal